Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges. Verpflichtung zum Einsatz eines bereits vorhandenen Familienfahrzeugs. Vergleich mit nichtbehinderten Menschen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Grundsätzlich entfällt die Notwendigkeit von Kraftfahrzeughilfe in Form der Übernahme von Beschaffungskosten, wenn bereits ein verkehrstaugliches Kfz vorhanden ist (vgl BSG vom 8.3.2017 - B 8 SO 2/16 R = SozR 4-1500 § 55 Nr 20), wobei es kein Ausschlusskriterium ist, wenn der Kläger nicht in der Lage ist, ein Kfz selbst zu steuern, sondern dies vor allem von seinem Assistenten im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung übernommen wird (vgl § 8 Abs 3 EinglHV - juris: BSHG§47V). Nicht entscheidend ist, dass das zur Verfügung stehende Leasingfahrzeug nicht im Eigentum des Klägers steht.

2. Bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ist die bestehende familiäre Einstandsgemeinschaft und das umfassende Prinzip familiärer Solidarität mit der Pflicht zu Beistand und Rücksicht - auch gegenüber volljährigen Kindern, wie sich aus § 1618a BGB ergibt - zu beachten (vgl hierzu BSG vom 28.8.2018 - B 8 SO 9/17 R = SozR 4-3500 § 18 Nr 4).

3. Ziel der steuerfinanzierten sozialen Fürsorgeleistungen ist ua der Schutz vor sozialer Ausgrenzung. Hierbei ist auf die Lebensgewohnheiten abzustellen, die auch von der Bevölkerung in "bescheidenen Verhältnissen" geteilt werden (vgl LSG München vom 26.2.2010 - L 8 SO 55/09), so dass sich daraus eine Grenze des dem Kläger aus § 9 Abs 2 SGB XII zustehenden Wunsch- und Wahlrechts ergibt (vgl hierzu BSG vom 2.2.2012 - B 8 SO 9/10 R = SozR 4-5910 § 3 9 Nr 1).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 14.09.2017 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für einen rollstuhlgerecht ausgestatteten PKW als Leistungen der Eingliederungshilfe nach den Vorschriften des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der 1989 geborene Kläger ist aufgrund einer perinatalen Hirnschädigung Tetraspastiker. Er benötigt Hilfe beim Toilettengang, beim An- und Auskleiden sowie beim Essen. Er hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen “aG„, “H„, “B„ und “RF„, ist weder geh- noch frei stehfähig und dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen. Ihm steht ein Elektrorollstuhl sowie ein Schiebe- bzw. Klapprollstuhl zur Verfügung. Der Kläger ist ohne Beruf und arbeitete bis zum 01.03.2015 in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Er wohnte im Haus seines Vaters in einer eigenen Wohnung, für die er eine monatliche Kaltmiete von 370,-- € zahlte. Ab 01.06.2015 bezog er Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII i.H.v. 959,83 €/Monat (Bescheid vom 12.05.2015) sowie Pflegegeld der gesetzlichen Pflegeversicherung, seit 2009 nach Pflegestufe III, nunmehr nach Pflegegrad 4. Ihm wurden mit Bescheid des zuständigen örtlichen Sozialhilfeträgers vom 12.04.2017 ab 01.03.2015 ein persönliches trägerübergreifendes Budget als Geldleistung i.H.v. 2.141,- €/Monat, worin Aufwendungen für die ambulante Betreuung von durchschnittlich 21 Std./Woche (7 Std./Woche Fachkraft und 11,24 Helferstunden) enthalten waren, und ab 01.04.2017 Leistungen der Hilfe zur Pflege - unter Abzug der Leistungen der Pflegekasse - i.H.v. zunächst 12.342,50 €/Monat für 732 Monatsstunden (30,5 Tage x 24 Std.) gewährt (24-Stunden-Betreuung im Arbeitgebermodel). Der ihm zur Verfügung stehende Assistent wohnte für die Dauer der jeweiligen 24-Stunden-Schicht in der klägerischen Wohnung. Dem Kläger wurden zudem monatlich eine Mobilitätspauschale von 100,- € sowie weitere 106,20 € als Begleithilfe gewährt. Von 2005 bis März 2018 war auf seinen Namen ein PKW (Toyota RAV 4) angemeldet, der zu seiner Verfügung stand. Er selbst konnte das Kfz nicht bedienen und war auf einen Fahrer angewiesen. Am 21.07.2018 schloss der Kläger mit seinem Vater einen Leasingvertrag über die Überlassung eines rollstuhlgerecht umgebauten Ford Tourneo Connect. Die Übergabe des Fahrzeuges erfolgte am 24.07.2018.

Am 03.02.2015 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für die Anschaffung eines rollstuhlgerecht ausgestatteten Kfz “Citroen Berlingo Multispace Vti 120 Selection„ zum Preis von 18,725,- € zuzüglich behindertengerechtem Umbauten sowie die Übernahme der monatlichen Betriebskosten i.H.v. 283,- €, da das von ihm genutzte Fahrzeug altersbedingt reparaturbedürftig sei. Das Fahrzeug solle von seinem persönlichen Assistenten gefahren werden. Er sei zur Teilhabe am sozialen Leben in der Gemeinschaft, insbesondere zu Verwandtenbesuchen, Besuche von Freunden, Fußballspielen des 1. FC Kaiserslautern (1. FCK), VHS-Kursen, Besuch von kulturellen Veranstaltungen (Konzerte, Kino, Sportveranstaltungen) und Urlaubsfahrten auf die Nutzung eines Kfz angewiesen. Den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) könne er nicht nutzen, da er auf seinen Elektrorollstuhl ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge