Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2108. haftungsbegründende Kausalität. Konsensempfehlungen. Befundkonstellation B2. 1. Zusatzkriterium: belastungskonformes Schadensbild. Betroffenheit von mindestens 3 Segmenten. 2. Zusatzkriterium: besonders intensive Belastung. Erreichen des Richtwerts für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren. Maurer
Leitsatz (amtlich)
1. Das 1. Zusatzkriterium der Befundkonstellation B2 der Konsensempfehlungen erfordert, dass mindestens 3 Segmente betroffen sind; ein bisegmentaler Bandscheibenschaden genügt nicht.
2. Das 2. Zusatzkriterium "besonders intensive Belastung" der Befundkonstellation B2 der Konsensempfehlungen ist nicht bereits dann erfüllt, wenn eine Belastungsdosis von 12,5 MNh (hälftiger Richtwert des Mainz-Dortmunder Dosismodells) in weniger als 10 Jahren erreicht wird.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 5.3.2018 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach der Nummer 2108 (BK 2108) der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1959 geborene Kläger ist gelernter Maurer (Lehrzeit 1.9.1974 bis 15.9.1977) und war als solcher bis zum 15.6.2006 beschäftigt. Für diesen Zeitraum betrug die Gesamtbelastungsdosis nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) 40,4 MNh (Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 13.12.2016).
Die Beklagte veranlasste Kernspintomografien des lumbo-sacralen Spinalkanales sowie der HWS (jeweils vom 8.4.2011) und holte Stellungnahmen ihres Beratungsarztes Dr. Lu. (vom 3.5.2011 und 30.5.2011) ein. Dr. Lu. vertrat die Auffassung, die bildtechnisch zur Darstellung kommenden Veränderungen im Bereich der HWS und LWS seien praktisch identisch ausgeprägt, wobei mit Nachdruck darauf hinzuweisen sei, dass unter Berücksichtigung des Alters des Versicherten, des erheblichen chronischen Übergewichts und des extremen Nikotinabusus die bandscheibenbedingten Befunde im Bereich der HWS und LWS im Normbereich lägen und keineswegs vorauseilend seien und schon gar nicht deutlich vorauseilend seien.
Mit Bescheid vom 4.8.2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er Anspruch auf Entschädigung wegen einer Wirbelsäulenerkrankung nach der Anlage zur BKV nicht bestehe. Eine BK 2108 läge nicht vor.
Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein Gutachten (vom 15.6.2012) bei dem Radiologen Dr. Ro. ein. Dieser führte aus, die Röntgenbilder vom 8.6.2009 unter Hinzuziehung der Voraufnahmen zeigten eine normierte relative Bandscheibenhöhe mit folgenden Werten:
L1/2 94 %, L2/3 100 %, L3/4 96 %, L4/5 48 % und L5/S1 63 %.
Abgeleitet von diesen Werten bildet sich im Segment L4/5 eine Chondrose Grad III ab. Im Segment L5/S1 liege eine Chondrose Grad II vor.
Das MRT der LWS vom 8.4.2011 habe folgende Werte ergeben:
L1/2 96 %, L2/3 100 %, L3/4 84 %, L4/5 46 % und L5/S1 63 %.
Es gebe keinen Hinweis auf eine idiopathische Wirbelkanalstenose, Morbus Paget oder einen Morbus Bechterew. Bei dem Kläger liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor. Betroffen seien die Segmente L3/4, L4/5 und L5/S1. Die Hauptmanifestation liege in Höhe von L4/5. Hier finde sich eine Chondrose Grad III begleitet von einer Bandscheibenprotrusion bei vorausgegangenem Bandscheibenprolaps mit zusätzlichen spondylotischen Degenerationen. Das Segment L5/S1 zeige eine Chondrose Grad II verbunden mit spondylotischen Degenerationen Grad 1. Im Segment L3/4 zeige das Bandscheibenmaterial Signalveränderungen in der Kernspintomografie im Sinne einer sogenannten Black-Disc. Die bandscheibenbedingten Degenerationen der HWS beträfen das Segment C5/6. Eine Spondylosis deformans bilde sich in den Segmenten C5/6 und C6/7 ab. Eine Begleitspondylose liege nicht vor. Die radiologischen Befunde seien mit einer Konstellation B4 zu vereinbaren.
Dr. Ma. führte in seinem unfallchirurgischen Gutachten (vom 17.12.2012) aus, seit dem 1.12.2006 arbeite der Kläger als Bohrgeräteführer mit reduzierter körperlicher Tätigkeit vollschichtig. Laut Eigenauskunft bestünden bei ihm seit 1983 Beschwerden im Bereich der HWS und LWS. Das vorliegende Krankheitsverzeichnis, das im Jahr 1988 beginne, dokumentiere erste bandscheibenbedingte Erkrankungen seit dem Jahr 2002. Unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen sei festzuhalten, dass die dargestellten Schäden im Bereich der Wirbelsäule röntgenologisch im Verlauf und schnitttechnisch nicht altersuntypisch seien. Eine ausreichende berufliche Belastung habe zum ersten Zeitpunkt der angegebenen Beschwerden nicht vorgelegen (erste Beschwerden 1983, Beginn der beruflichen Belastungen 1974). Gegen die berufsbedingte Verursachung des Bandscheibenleidens sprächen darüber hinaus die Veränderungen im Bereich der HWS und BWS, das Verteilungsmuster sowie die dokumentierten klinischen Befunde. Somi...