Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsangebot. Bestimmtheitsgebot. Verwaltungsakt. Auslegung. aufschiebende Wirkung
Leitsatz (amtlich)
Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Absenkungsbescheides wegen der Weigerung, eine Arbeitsgelegenheit aufzunehmen, ist u.a., dass das Arbeitsangebot hinsichtlich Art der Tätigkeit, zeitlichen Umfangs und zeitlicher Verteilung hinreichend bestimmt war.
Normenkette
SGB II § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. d, § 16 Abs. 3 S. 2, § 39 Nr. 1; SGB X §§ 31, 33 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 86a Abs. 2 Nr. 4, § 123
Verfahrensgang
SG Hamburg (Beschluss vom 02.06.2005) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts vom 2. Juni 2005 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 18. Mai 2005 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2005 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I. Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 2. Juni 2005, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers abgelehnt.
1. Nach § 123 SGG, der auch im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gilt (Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 123 Rn. 2), ist das Gericht bei seiner Entscheidung nicht an die Fassung des Antrags gebunden. Erforderlichenfalls ist das Rechtsschutzbegehren durch Auslegung des Antrags zu ermitteln. Im Zweifel wird der Rechtsschutzsuchende den Antrag stellen wollen, der ihm am besten zum Ziel verhilft (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 123 Rn. 3). Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 18. Mai 2005 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2005, mit dem diese unter teilweiser Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung die Absenkung des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum von Juni bis August 2005 verfügt hat, zu verstehen.
2. Der Antrag ist statthaft. Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung anordnen. Der Widerspruch vom 18. Mai 2005 hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung, weil der angegriffene Absenkungsbescheid vom 10. Mai 2005 ein Verwaltungsakt ist, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet (vgl. Berlit, in: LPK-SGB II, § 31 Rn. 123).
3. Der Antrag ist auch begründet. Bei der nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu treffenden Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist eine Abwägung des Aussetzungs- und des Vollzugsinteresses vorzunehmen. Maßgebliches Kriterium bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs. Soweit sich der angegriffene Verwaltungsakt bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen. So liegt es hier. Der Bescheid vom 10. Mai 2005 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.
Nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. d SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 von Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 S. 2 auszuführen. Nach § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II gilt das nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Hier kann dahinstehen, ob der Antragsteller einen wichtigen Grund für sein Verhalten glaubhaft machen konnte. Der Sanktionsmechanismus des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. d SGB II setzt nämlich voraus, dass dem Hilfebedürftigen eine hinreichend bestimmt bezeichnete Arbeit angeboten wurde (Berlit, a.a.O., § 31 Rn. 46; Gröschel-Gundermann, in: Linhardt/Adolph/Gröschel-Gundermann, SGB II, § 31 Rn. 14; Rixen, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 Rn. 19 i.V.m. § 10 Rn. 31). Daran fehlt es. Das Bestimmtheitsgebot gilt unabhängig davon, ob das Arbeitsangebot nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II als Verwaltungsakt im Sinne von § 31 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu qualifizieren ist. Für die entsprechende Vorschrift des § 19 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wurde allgemein angenommen, dass das Arbeitsangebot ein Verwaltungsakt sei (BVerwG, Urt. v. 13. Oktober 1983 – 5 C 66.82 –, BVerwGE 68, S. 97, 99; Krahmer, in: LPK-BSHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 7). Dem folgend, wird auch hinsichtlich § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II vielfach vertreten, das Arbeitsangebot sei als Verwaltungsakt anzusehen (Niewaldt, in: LPK-SGB II, § 16 Rn. 25; Voelzke, in Hauck/Noftz, SGB II, § 1...