Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auch auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht. kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU 2004. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. kein Leistungsausschluss nach § 21 S 1 SGB 12. Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12. Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. keine Ermessensreduzierung auf Null nach mehr als sechsmonatigem Aufenthalt. unabweisbar gebotene Leistung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Ausschlussnorm des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II europa- und verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl LSG Hamburg vom 15.10.2015 - L 4 AS 403/15 B ER).

2. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass aufgrund eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II der Anwendungsbereich des SGB XII eröffnet sein kann (vgl LSG Hamburg vom 14.1.2013 - L 4 AS 332/12 B ER).

3. Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII müssen lediglich das unabweisbar Gebotene (ggf Reisekosten, Überbrückungshilfe) abdecken.

4. Der Senat folgt nicht der Rechtsprechung des BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, nach der regelmäßig eine Verfestigung des Aufenthalts zur Arbeitssuche nach sechs Monaten eintritt und dann Hilfe zum Lebensunterhalt verlangt werden kann.

 

Orientierungssatz

1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 gilt nicht nur in den Fällen, in denen ein Antragsteller tatsächlich und aktiv Arbeit sucht, sondern auch in allen Fällen, in denen kein materielles Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU 2004 festgestellt werden kann (vgl LSG Hamburg vom 1.12.2014 - L 4 AS 444/14 B ER und BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R aaO).

2. Voraussetzung für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des § 4a FreizügG/EU 2004 ist, dass dieser ununterbrochen auf den Freizügigkeitsregelungen nach Art 7 Abs 1 EGRL 38/2004 beruht (vgl BVerwG vom 16.7.2015 - 1 C 22/14 = Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr 4 und BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43).

3. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 erfasst nur den Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, nicht aber auch den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12 (vgl BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R aaO, LSG Essen vom 28.7.2014 - L 19 AS 948/14 B ER und LSG Celle-Bremen vom 7.3.2016 - L 15 AS 185/15 B ER).

 

Normenkette

SGB XII § 21 S. 1, § 23 Abs. 1 Sätze 1, 3, Abs. 3 S. 1, § 73; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; FreizügG/EU §§ 4a, 2 Abs. 1a; EGRL 38/2004 Art. 7 Abs. 1; EFA Art. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; AsylbLG §§ 1a, 11 Abs. 2, § 1 Abs. 1 Nr. 5

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Februar 2016 abgeändert:

Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII an den Antragsteller für den Zeitraum vom 20. Januar 2016 bis zum 30. April 2016 nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

I.

Die am 3. März erhobene Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 22. Februar 2016 ist statthaft und auch sonst zulässig (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Sie ist auch im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

1.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht einen Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gegen den Antragsgegner verneint.

Zwar dürfte der Antragsteller die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Es greift jedoch der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhalten Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keine Leistungen nach dem SGB II. Dieser Leistungsausschluss steht nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 11. November 2014 (“Dano„ - C 333/13) und 15. September 2015 (“Alimanovic„ - C 67/14) auch in Einklang mit dem Europarecht. Er gilt zudem nicht nur in den Fällen, in denen ein Antragsteller tatsächlich und aktiv Arbeit sucht, sondern auch in allen Fällen, in denen kein materielles Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU festgestellt werden kann (vgl. die Beschlüsse des Senats vom 1.12.2014 - L 4 AS 444/14 B ER, vom 6.10.2014 - L 4 AS 307/14 B ER und vom 14.12.2015 - L 4 AS 475/15 B ER; ebenso BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, Rn. 19 ff.).

Wie das Sozialgericht vermag auch der Senat nicht zu erkennen, dass der Antragsteller seinen Aufenthalt auf ein materielles Freizügigkeitsrecht stützen kann. Insbesondere ist ein Daueraufenthaltsrecht nac...

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