Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch eines Kindes auf Kindergeld, welches den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt

 

Orientierungssatz

1. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 3 BKGG erhält Kindergeld für sich selbst, wer in Deutschland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist.

2. Es kommt für den Anspruch nicht auf einen objektiven Maßstab an in dem Sinn, dass der Aufenthalt von niemandem zu ermitteln ist. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BKGG ist subjektiv ausgerichtet und stellt auf die Nichtkenntnis des das Kindergeld beanspruchenden Kindes ab (BSG Urteil vom 5. 5. 2015, B 10 KG 1/14 R).

 

Tenor

1. Der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Januar 2018 wird aufgehoben und die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin ab 1. November 2017 für die weitere Dauer dieses Verfahrens vorläufig und längstens bis zur Bestandskraft des Beschlusses der Antragsgegnerin vom 17. Januar 2018 Kindergeld zu zahlen.

2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes die Zahlung von Kindergeld für sich selbst.

Die am … 1998 geborene Antragstellerin lebte bis zum 31. Juli 2017 im Haushalt ihrer Pflegemutter, an die auch das Kindergeld ausgezahlt wurde. Die Zahlung endete zum 1. August 2017, da die Antragstellerin in eine Wohngemeinschaft zog. Die Antragstellerin bezieht eine monatliche Ausbildungsvergütung in Höhe von 629 Euro, eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe von monatlich 93 Euro sowie nach eigenen Angaben ein monatliches Darlehen ihres früheren Pflegevaters in Höhe von 257 Euro.

Am 11. August 2018 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Auszahlung des anteiligen Kindergeldes an sich selbst. Mit Bescheid vom 21. August 2017 lehnte die Antragsgegnerin einen Antrag der Antragstellerin vom 18. August 2018 auf "Abzweigung des Kindergeldes" ab, da eine Abzweigung des Kindergeldes aus dem Anspruch der Pflegeeltern heraus nicht möglich sei, da die Pflegeeltern nicht unterhaltspflichtig seien. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos, da die Antragsgegnerin die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht als erfüllt ansah.

Gegen diese am 25. September 2017 zur Post gegebene Entscheidung hat die Antragstellerin am 30. Oktober 2017 Klage bei dem Sozialgericht Hamburg erhoben und zugleich im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt, ihr für die Dauer des Klageverfahrens vorläufig Kindergeld zu bezahlen. Sie hat vorgetragen, dass die Antragsgegnerin ihren Antrag missverstanden habe, da sie keine Abzweigung des erloschenen Kindergeldanspruchs ihrer Pflegeeltern, sondern Kindergeld für sich selbst habe beantragen wollen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) lägen vor, da sie ihren Wohnsitz in Deutschland habe, den Aufenthaltsort ihrer leiblichen Eltern nicht kenne und sie bei keiner anderen Person als Kind zu berücksichtigen sei.

Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 2. Januar 2018 abgelehnt, da die Antragstellerin einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht habe. Angesichts ihrer Einkommensverhältnisse sei eine finanzielle Notlage der Antragstellerin nicht erkennbar, zumal die angeforderten Kontounterlagen nicht vorgelegt worden seien.

Gegen diese ihrem Prozessbevollmächtigten am 5. Januar 2018 zugestellte Entscheidung hat die Antragstellerin am 8. Januar 2018 Beschwerde eingelegt und beanstandet, dass das Sozialgericht den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt habe. Auch müssten die Erfolgsaussichten in der Hauptsache berücksichtigt werden.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass auch kein Anordnungsanspruch bestehe. Nach ihren Recherchen lebe zumindest der Vater der Antragstellerin in Deutschland, bei dem diese als Kind zu berücksichtigen sei, sodass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BKGG nicht vorlägen. Mit Bescheid vom 17. Januar 2018 hat die Antragsgegnerin den Antrag auf Kindergeld der Antragstellerin an sie selbst abgelehnt, da ihr - der Antragsgegnerin - der Aufenthaltsort des Vaters der Antragstellerin bekannt sei.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Da die Voraussetzungen eines Anspruchs der Antragstellerin auf Kindergeld an sie selbst (§ 1 Abs. 2 BKKG) offensichtlich erfüllt sind, ist ein Erfolg in der Hauptsache sehr wahrscheinlich, sodass an den Anordnungsgrund geringere Anforderungen zu stellen sind.

1. Das Begehren der Antragstellerin kann in der Hauptsache grundsätzlich mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage geltend gemacht werden, so dass hier § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes darstellt. Danach ist eine Re...

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