Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Praxisbesonderheit. keine Verpflichtung der Prüfgremien zur Untersuchung besonders kostenintensiver Fälle. Einbeziehung in eine Richtgrößenprüfung. Beurteilungsspielraum. Zusammensetzung der Patientengruppe. Darlegungslast des Vertragsarztes. Amtsermittlung. Vereinbarung einer individuellen Richtgröße. Subjektives Recht

 

Orientierungssatz

Ob typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedliche und daher augenfällige Umstände im Hinblick auf die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten vorliegen, kann insbesondere auch bei besonders kostenintensiven Fällen, die in der Arztpraxis behandelt werden, in Erwägung zu ziehen sein. Eine Verpflichtung der Prüfgremien, die teuersten Patientenfälle näher zu beleuchten, folgt daraus aber noch nicht.

 

Normenkette

SGB V § 106 Abs. 2, 5a, 5d, § 84 Abs. 6, 8; SGB X § 20

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 17.02.2016; Aktenzeichen B 6 KA 44/15 B)

 

Tenor

1. Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. August 2013 wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Regress wegen Überschreitung der Richtgrößen im Bereich Heilmittel.

Der Kläger nimmt als Facharzt für Orthopädie an der vertragsärztlichen Versorgung in H. teil. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 unterrichtete die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in H. den Kläger, dass eine Prüfung wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens bei Heilmitteln in Höhe von 88.971 Euro für das Verordnungsjahr 2007 eingeleitet worden sei. Dem Kläger wurde Gelegenheit gegeben, innerhalb von vier Wochen eine Stellungnahme abzugeben bzw. die Berücksichtigung weiterer Praxisbesonderheiten zu beantragen; auf die Möglichkeit einer Regressminderung und eines Angebots einer individuellen Richtgröße wurde hingewiesen.

Mit Schreiben vom 13. November 2009 legte der Kläger gegen die Regressandrohung Widerspruch ein. Als Praxisbesonderheiten machte er seine ambulant operative Tätigkeit sowie seine belegärztliche Tätigkeit im Jahr 2007 geltend. Hinzu komme eine Schwerpunktbetreuung von Osteoporose-Patienten. Er beanstandete zudem eine fehlende Gegenüberstellung der verordneten und der abgerechneten Heilmittel.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2009 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von 64.298 Euro als Ergebnis der Richtgrößenprüfung Heilmittel 2007 fest. Ausgehend von einem das Richtgrößenvolumen um 25% überschreitenden Betrag in Höhe von 88.971 Euro wurden davon zunächst diejenigen unklar gebliebenen Verordnungskosten abgezogen, die der ärztlichen Tätigkeit des Klägers nicht sicher zugeordnet werden konnten (1.764 Euro). Kosten für Ergotherapie und Logopädie waren in dieser Berechnung nicht enthalten. Kosten in Höhe von 8.099 Euro für betreute Patienten wurden zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, ebenso Kosten in Höhe von 5.057 Euro für manuelle Lymphdrainagen. Die verbliebene Überschreitung des Richtgrößenvolumens habe der Kläger dagegen nicht hinreichend erklärt. Er sei verpflichtet gewesen, etwaige Praxisbesonderheiten und die damit in Zusammenhang stehenden Überschreitungen im Einzelnen darzulegen. Die Prüfungsstelle ermittelte unter Berücksichtigung der Differenzquote (Brutto-Verordnungssumme zur Nettoverordnungssumme = 85,58%) einen Regress in Höhe von 64.298 Euro.

Mit seinem am 22. Dezember 2009 eingelegten und am 5. Oktober 2010 begründeten Widerspruch beantragte der frühere Verfahrensbevollmächtigte des Klägers, noch nicht wie vorgesehen über den Widerspruch am 6. Oktober 2010 zu entscheiden, wobei er ausführte: "Im Interesse unseres Mandaten muss die Angelegenheit vertieft bearbeitet werden, um gegebenenfalls eine Rücknahme des Widerspruchs anzuempfehlen und in Verhandlungen über eine zukünftige individuelle Richtgröße einzutreten". In seiner vorsorglich beigefügten Widerspruchsbegründung ließ der Kläger vortragen, dass er aufgrund seiner Tätigkeitsschwerpunkte insbesondere im Bereich der ambulanten und stationären Operationen zu einer kleinen Gruppe von Orthopäden gehöre, die nicht nur konservativ, sondern auch durch ambulantes Operieren eine beleg- und konsiliarärztliche Tätigkeit praktizierten. Seit 1993 übe er eine osteologische Tätigkeit (inklusive Osteodensitometrie (Knochendichtemessung)) aus, was zu einem überdurchschnittlich hohen Anteil an chronisch behandlungspflichtigen Patienten geführt habe mit einem hohen Anteil an Verordnungen von Antiosteoporotika und Opiaten. Aufgrund seiner fachlichen Akzeptanz werde er von einzelnen Krankenkassen als Referenz- oder Zweitmeinungsarzt herangezogen. Das führe zu Behandlungen von Patienten mit besonders schweren Krankheitsbildern. Durch sein breites Spektrum an ambulanten und stationären Operationen ergebe sich eine weit über die Fachgruppe hinaus notwendi...

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