Entscheidungsstichwort (Thema)

Honorarverteilungsvereinbarung. öffentlich-rechtlicher Vertrag. keine Nichtigkeit bei fehlendem Verbotsgesetz aufgrund nichtvorliegender Vorgaben des Bewertungsausschusses für das erste Quartal 2005. Honorarbegrenzung auf der Grundlage des eigenen früheren Leistungs- und Abrechnungsverhaltens. Zulässigkeit einer am Zulassungsstatus orientierten Kontingentbildung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 58 Abs 1 SGB 10 ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt. Da für die Honorarverteilungsvereinbarungen dieselben rechtlichen Maßstäbe gelten wie für die in Satzungsform ergangenen Honorarverteilungsmaßstäbe, ergibt sich der Prüfungsmaßstab insoweit aus § 134 BGB in Verbindung mit den einschlägigen Vorschriften des SGB 5.

2. Zwar genügt im Rahmen von § 134 BGB, wenn der Tatbestand des Verbotsgesetzes objektiv erfüllt ist (vgl BGH vom 25.3.1993 - IX ZR 192/92 = BGHZ 122, 115). War es jedoch der Kassenärztlichen Vereinigung und den anderen Partnern der Honorarverteilungsvereinbarung bereits rein objektiv nicht möglich, in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben aus § 85 Abs 4 S 7 und 8 SGB 5 zu handeln, da die hierfür zwingend erforderlichen Vorgaben des Bewertungsausschusses (hier für das erste Quartal 2005) nicht vorlagen, fehlte es mithin an einem Verbotsgesetz, denn ein solches betrifft Rechtsgeschäfte, die der Betroffene vornehmen kann, aber nicht vornehmen darf (vgl LSG Potsdam vom 11.5.2011 - L 7 KA 6/07).

3. Eine Honorarbegrenzung auf der Grundlage des eigenen früheren Leistungs- und Abrechnungsverhaltens stellt einen schonenderen Eingriff dar als pauschale Begrenzungen auf der Grundlage des Fachgruppendurchschnitts. Weiterhin ermöglicht sie eine individuell gerechte Berücksichtigung der Praxisstruktur und des Morbiditätsspektrums im Patientenklientel des jeweiligen Arztes und macht die Vergütung in einem Kernbereich der Tätigkeit kalkulierbar (vgl LSG Hamburg vom 29.9.2011 - L 1 KA 9/08 und BSG vom 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 R = BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5). Einen Anspruch auf Angleichung des Honorarniveaus zwischen verschiedenen Arztgruppen gibt es nicht (vgl LSG Hamburg vom 26.1.2012 - L 1 KA 22/09).

4. Im Rahmen des den Vertragspartnern zustehenden Gestaltungsspielraums (vgl BSG vom 9.12.2004 - B 6 KA 44/03 R = BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2) erscheint eine Kontingentbildung, die sich am Zulassungsstatus orientiert, sachgerecht. Für eine Verpflichtung zur Bildung weiterer Untergruppen ist nichts erkennbar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 17.02.2016; Aktenzeichen B 6 KA 46/14 R)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Neubescheidung ihrer Honorarabrechnung für das Quartal I/2005.

Sie ist Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und im Bezirk der Beklagten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie betreibt nach eigener Einschätzung eine sog. Versorgerpraxis und behandelt bei ungefähr 40 Prozent ihrer Patienten neurologische Erkrankungen, bei ungefähr 60 Prozent ihrer Patienten psychiatrische Erkrankungen. Psychotherapeutisch ist sie nach eigenen Angaben nur in geringem Umfang tätig.

Mit Bescheid vom 22. August 2005 setzte die Beklagte in Anwendung des Honorarverteilungsmaßstabes vom 14. Dezember 1995 in der Fassung vom 30. April 2004 ein Honorar von 38.050,90 für das Quartal I/2005 fest. Bei der Abrechnung zulasten von Ersatz- und Primärkassen brachte sie praxisbezogene Regelversorgungsvolumina von insgesamt 722.106,4 Punkten in Ansatz, was zu einer Kürzung der abzurechnenden Punkte auf 735.432,3 Punkte (gegenüber insoweit angeforderten 1.119.470 Punkten) führte.

Zur Begründung ihres am 25. August 2005 erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin aus, sie habe bei ständig sinkenden Umsätzen eine gleichbleibende Versorgung zu leisten. Zu Punktwertstützungen seien alle Arztgruppen gleichmäßig heranzuziehen. Die Ersatzkassen hätten zu Unrecht auch einen Beitrag zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung einbehalten, obwohl diese nicht zu Einsparungen im Tätigkeitsbereich der Klägerin geführt hätten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2006 zurück.

Mit ihrer am 10. April 2006 erhobenen Klage - erfasst unter dem Aktenzeichen S 3 KA 149/06 - hat die Klägerin die Neubescheidung ihrer Honorarabrechnungen für die Quartale III/2004, I/2005 und II/2005 begehrt, hilfsweise eine Verurteilung der Beklagten zu näher bezeichneten Auskünften.

Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, sie habe eine gleichbleibende Zahl von Patienten in gleichbleibender Weise zu versorgen und erhalte dafür ein ständig zurückgehendes Honorar. Allgemein trügen die Nervenärzte, die trotz steigender Fallzahlen rückläufige Honorare erwirtschafteten, infolge zunehmender Pauschalierung und Budgetierung inzwisc...

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