Entscheidungsstichwort (Thema)

Örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers für Leistungen der Eingliederungshilfe bei Heimunterbringung des Hilfeempfängers

 

Orientierungssatz

1. Die örtliche Zuständigkeit des Leistungsträgers für die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB 12 richtet sich nach § 98 SGB 12.

2. Soweit die örtliche Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten anknüpft und dieser in einer Einrichtung oder sonstigen Wohnform begründet wird, liegt die örtliche Zuständigkeit bei demjenigen örtlichen Träger, in dessen Bereich die Einrichtung oder die sonstige Wohnform gelegen ist.

3. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt des Hilfeempfängers nicht vorhanden, so richtet sich die örtliche Zuständigkeit für die an ihn zu erbringenden stationären Leistungen nach § 98 Abs. 2 S. 3 SGB 12. In einem solchen Fall hat der nach § 98 Abs. 1 SGB 12 zuständige Träger der Sozialhilfe die Leistung vorläufig zu erbringen.

4. Zuständig ist nach § 98 Abs. 2 S. 3 SGB 12 derjenige Träger, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende zum Zeitpunkt des Eintritts bzw. des Bekanntwerdens der sozialhilferechtlichen Bedarfslage tatsächlich aufhält. Eine so über § 98 Abs. 2 S. 3 SGB 12 begründete örtliche Zuständigkeit des Trägers des tatsächlichen Aufenthaltsortes bleibt bei ununterbrochenem Aufenthalt in einer Einrichtung bzw. einer Einrichtungskette.

5. Erst wenn der Hilfeempfänger in eine neue Einrichtungskette aufgenommen wird, so begründet dies die örtliche Zuständigkeit des für diese maßgeblichen Leistungsträgers.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 23.07.2018; Aktenzeichen B 8 SO 25/18 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 383.364,16 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

In Streit ist die Erstattung von Kosten i.H.v. 383.364,16 Euro für Leistungen der Eingliederungshilfe, die die Klägerin in der Zeit vom 10. Juli 2009 bis 31. Mai 2017 zugunsten des Hilfeempfängers D. (Hilfeempfänger) erbracht hat.

Der am ... 1991 in A1 geborene Hilfeempfänger, bei dem später ein Grad der Behinderung von 80 und die Merkzeichen G, B und H anerkannt werden sollten (s. den vom Landesamt für soziale Dienste S. im Oktober 2007 ausgestellten Schwerbehindertenausweis), reiste am 27. Mai 1999 unbegleitet über den Flughafen F. nach Deutschland ein. Nach Überprüfung durch den Bundesgrenzschutz wurde er noch am Flughafen vom Jugendamt der Stadt F. in Obhut genommen und in eine Jugendhilfeeinrichtung des Jugendhilfeverbundes R., dem Aufnahmeheim der A. für geflüchtete Minderjährige in der E1 in F., aufgenommen (Verfügung des Jugendamtes F. vom 28.6.1999 über die Erstversorgung des Hilfeempfängers nach § 42 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - und seine vorübergehende Unterbringung im A.-Aufnahmeheim für die Zeit vom 15.6.1999 bis 20.6.1999).

Mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt a. M. vom 28. Mai 1999 wurde das Jugendamt zum Vormund des Hilfeempfängers bestellt. Eine Vorstellung bei der zuständigen Ausländerbehörde erfolgte nicht, da der Hilfeempfänger in das im Land H1 vorgesehene "Clearingverfahren" übernommen wurde, um einen Asylantrag zu stellen.

Am 20. Juni 1999 wurde der Hilfeempfänger von seinem in H. lebenden Onkel, Herrn D., aus dem Aufnahmeheim der A. in F. ohne Wissen und Zustimmung des Einrichtungsträgers oder seines Vormundes mit nach H. genommen.

Am 24. Juni 1999 wurde der Onkel des Hilfeempfängers mit diesem in der Erstversorgungseinrichtung (E.) in H. vorstellig, wo der Hilfeempfänger noch am selben Tag aufgenommen wurde.

Am 28. Juni 1999 sprach eine Betreuerin der E. beim Jugendamt der Klägerin beim Bezirksamt H.-M. vor. Sie erklärte, dass sich der Hilfeempfänger seit dem 24. Juni 1999 in der Einrichtung befinde. Er sei von seinem Onkel mit der Bitte, sich vorläufig um den Jungen zu kümmern, "abgegeben" worden. Durch das Aufnahmeheim in F. sei der Hilfeempfänger zuvor zunächst als vermisst gemeldet worden.

Ausweislich eines Schreibens des Jugendamtes H. an das Amtsgericht Hamburg, Vormundschaftsgericht, vom 7. Juli 1999 wurden die Sozialen Dienste der Stadt F. am 29. Juni 1999 darüber informiert, dass Verwandte des Hilfeempfängers in H. lebten. Die Sozialen Dienste F. erklärten gegenüber dem Jugendamt H., dass die Verteilung des Hilfeempfängers nach H. bereits in Vorbereitung gewesen sei ("Prüfung der Vormundschaftsübernahme; Klärung der ausländerrechtlichen Belange").

Unter dem 30. Juni 1999 verfügte das Jugendamt der Klägerin rückwirkend zum 24. Juni 1999 die Inobhutnahme des Hilfeempfängers auf Grundlage von § 42 SGB VIII. In der Verfügung heißt es, der Hilfeempfänger habe sich bis zum 20. Juni 1999 in F. aufgehalten. Die "Verteilung" zu seinen Verwandten nach H. sei angestrebt, da der Hilfeempfänger diesen Wunsch äußere. Zur Klärung der Sach- und Rechtslage werde der Hilfeempfänger zunächst in Obhut genommen. H. sei gemäß § 87 SGB VIII örtlich zuständig, da sich der Hilfeempfänger vor seiner Inobhutnahme in H. aufgehalten habe.

Am...

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