Entscheidungsstichwort (Thema)
Verjährung der Erhebung von Nachversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber bei Erstellung einer Aufschubbescheinigung. Rechtsmissbräuchliche Einrede der Verjährung. Objektiv fehlender Aufschubgrund. Versicherungsfreie Beschäftigung. Lehrer zur Ausbildung. Fortwirkende Fürsorgepflicht des Dienstherrn
Orientierungssatz
1. Die Erhebung der Einrede der Verjährung gegenüber vom Rentenversicherungsträger geltend gemachten Beitragsansprüchen ist unzulässig, wenn der Schuldner den Gläubiger von der Geltendmachung seines Rechts abgehalten, ihn insbesondere von verjährungsunterbrechenden oder -hemmenden Handlungen abgehalten hat, vgl. BSG, vom 27. Juni 2012 - B 5 R 88/11 R.
2. Allein der Rentenversicherungsträger entscheidet darüber, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Aufschub der Nachversicherung gegeben sind. Zu den Pflichten des ehemaligen Arbeitgebers gehört es, im Fall des Ausscheidens eines Beschäftigten eine Entscheidung darüber zu treffen, ob Nachversicherungsbeiträge gezahlt werden sollen oder nicht. Er hat entweder die Beiträge nachzuentrichten oder bei Annahme eines Aufschubgrundes eine Aufschubbescheinigung zu erteilen. Ist der Arbeitgeber diesen Pflichten nachgekommen, so ist es alleinige Aufgabe des Rentenversicherungsträgers zu prüfen, ob ein materiell-rechtlicher Aufschubgrund tatsächlich besteht bzw. anderenfalls die Beitragsnachentrichtung durch Bescheid verbindlich festzustellen, vgl. BSG, Urteil vom 11. September 1980 - 1 RA 81/79.
3. Unterlässt der Rentenversicherungsträger diese Prüfung oder kommt er dabei zu einem fehlerhaften Ergebnis, so ist der Arbeitgeber nicht an der Erhebung der Einrede der Verjährung gehindert, weil der Arbeitgeber die Folgen des Versäumnisses hinsichtlich der Prüfung des Aufschubgrundes nicht zu tragen hat. Es obliegt dem Rentenversicherungsträger, dafür Sorge zu tragen, dass allein bei ihm vorhandene Kenntnisse des Versicherungsverlaufs zur Prüfung einer eingereichten Aufschubbescheinigung umgesetzt werden.
Normenkette
SGB IV § 25
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Juni 2011 und der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2008 aufgehoben.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Nachversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Beigeladenen zu entrichten hat oder ob der Anspruch verjährt ist.
Die am ... 1946 geborene Beigeladene war nach Erlangung des Abiturs und absolviertem Lehrerstudium zunächst vom 10. August bis 30. September 1970 versicherungspflichtig beschäftigt. Danach trat sie am 1. Oktober 1970 als Beamtin auf Widerruf - Studienreferendarin - in den Dienst der Klägerin. Während dieser Tätigkeit wurde am 16. August 1972 ihr erster Sohn geboren. Am 31. Januar 1973 schied die Beigeladene aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf aus. In der Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1973 übte sie eine versicherungspflichtige Tätigkeit als Erzieherin aus. Ab dem 22. Oktober 1973 war die Beigeladene dann zunächst bis 31. Juli 1976, dann wieder ab 1. August 1978 erneut versicherungspflichtig beschäftigt. In ihrem von der Beklagten geführten Versichertenkonto sind Pflichtbeiträge ab dem 22. Oktober 1973 gespeichert. Eine versicherungsfreie Beschäftigung nahm sie nachfolgend nicht auf.
Die Klägerin hatte ab etwa Mitte 1973 - zunächst wegen unzutreffender Anschrift vergeblich - versucht, von der Beigeladenen Auskunft zu der von dieser ausgeübten Beschäftigung zu erlangen. Im Mai 1974 teilte die Beigeladene mit, sie habe nach Ausscheiden aus dem Dienst bei der Klägerin in der Zeit vom 1. April bis 1. Juli 1973 eine versicherungspflichtige Tätigkeit als Erzieherin ausgeübt und sei ab 22. Oktober 1973 als "Lehrerin zur Ausbildung" beim Landesschulamt S. beschäftigt. Daraufhin erstellte die Klägerin am 15. Mai 1974 eine so genannte Aufschubbescheinigung, in der sie unter Angabe, die Beigeladene sei seit dem 22. Oktober 1973 beim Landesschulamt (neuer Arbeitgeber) als "Lehrerin z. A." (neue Dienstbezeichnung/Art der neuen Beschäftigung) beschäftigt, ausführte, dass die Nachentrichtung der Beiträge für die Zeit des Dienstes der Beigeladenen bei der Klägerin vom 1. Oktober 1970 bis 31. Januar 1973 nach § 125 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) aufgeschoben werde, weil die Beigeladene zwar nicht unmittelbar, aber spätestens ein Jahr nach dem Ausscheiden in eine andere in der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten versicherungsfreie Beschäftigung übergetreten sei. Die an die Beklagte und die Beigeladene versandte Aufschubbescheinigung wurde am 2. Juli 1974 bei der Beklagten bearbeitet; Beiträge zugunsten der Beigeladenen für deren Dienst bei der Klägerin forderte die Beklagte auch nachfolgend nicht an und wurden von der Klägerin nicht entrichtet.
Im Rahmen eines von der Beigeladenen im Januar 2008 beantragten Kontenklärungsverfahrens fragt...