Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit der Berufung. Beschwerdewert unter 750 Euro. Sozialhilfe. Leistungsbewilligung für einen Monat. keine Einbeziehung weiterer Bewilligungsbescheide über Folgezeiträume. keine Anwendbarkeit des § 86 SGG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bewilligungsbescheide über Folgezeiträume stellen keine Abänderung eines vorangegangenen Bewilligungsbescheides iS von § 86 SGG dar.

2. Auch eine analoge Anwendung des § 86 SGG auf Bescheide, die Folgezeiträume betreffen, kommt jedenfalls in Fällen, in denen die fraglichen Bescheide zeitlich nach Inkrafttreten der Änderung des § 96 SGG zum 1.4.2008 ergangen sind, nicht in Betracht (Abgrenzung zu BSG vom 17.6.2008 - B 8 AY 11/07 R, vom 14.4.2011 - B 8 SO 12/09 R = BSGE 108, 123 = SozR 4-3500 § 82 Nr 7 und vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R = FEVS 63, 294).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.12.2016; Aktenzeichen B 8 SO 14/15 R)

 

Tenor

Die Berufung wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Beiträge für die private Krankenversicherung der Klägerin von der Beklagten zu übernehmen sind.

Die 1962 geborene Klägerin leidet seit 1999 an einer rezidivierenden depressiven Störung, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung; seit April 2000 ist sie deswegen nicht mehr berufstätig. Sie ist seit 1987 zu einem individuell auf sie abgestimmten Tarif privat krankenversichert bei der S. Krankenversicherung a.G.

Im Dezember 2003 beantragte die Klägerin Leistungen der Sozialhilfe bei der Beklagten. Die Beklagte bewilligte laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, lehnte mit Bescheid vom 29. Dezember 2003 aber die Übernahme des Beitrags zur privaten Krankenversicherung ab, der damals monatlich 553,25 Euro monatlich betrug. Zur Begründung führte sie aus, Beiträge zur privaten Krankenversicherung könnten nur dann übernommen werden, wenn sie nicht höher seien als der Beitrag für freiwillig Versicherte einer gesetzlichen Krankenversicherung; eine Abweichung hiervon sei maximal bis zu 10% möglich. Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und legte ein Attest des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vor. Dieser führte aus, er halte es für ärztlich geboten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, der Klägerin den Verbleib in ihrer privaten Krankenversicherung zu ermöglichen. Wenn sie gezwungen wäre, ihre Krankenversicherung zu verlassen, wäre ihr nach Besserung ihrer Lebensverhältnisse ein Wiedereintritt nur unter ungleich höheren und im Zweifel nicht finanzierbaren Kosten möglich. Zudem befinde sie sich in verschiedenen fachärztlichen Behandlungen, deren Fortführung bei Kündigung der privaten Krankenversicherung gefährdet wäre bzw. dann erhebliche finanzielle Eigenbeteiligungen erfordern würde. Psychiatrisch wäre der bisherige Umfang häuslicher Betreuung durch einen ambulanten Pflegedienst mit einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr zu leisten, sodass dann vermutlich wieder mehr stationäre Behandlungen erforderlich würden. Die Klägerin übersandte ferner ein Attest von Dr. B., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin im Krankenhaus G ... Dieser teilte mit, dass die Klägerin seit 2000 neunmal stationär im Krankenhaus G. behandelt worden sei. Aufgrund der Privatversicherung habe sie besondere Behandlungsmaßnahmen wahrnehmen können, die für sie - insbesondere angesichts immer wieder bestehender suizidaler Phasen - sehr wichtig seien. Bei einer gesetzlichen Versicherung sei ein derartig umfassendes therapeutisches Netz nicht möglich. Mit Bescheid vom 28. Dezember 2004 half die Beklagte dem Widerspruch ab und übernahm den Beitrag zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe.

Im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. August 2005 bezog die Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Ab September 2005 erhielt sie Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung von der Beklagten, die Beiträge für die private Krankenversicherung wurden in diesem Rahmen vollständig übernommen.

Mit Schreiben vom 29. September 2009 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie grundsätzlich nur noch private Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für eine Versicherung in dem zum 1. Januar 2009 eingeführten Basistarif übernehme. Der Klägerin werde deshalb empfohlen, spätestens bis zum 31. Dezember 2009 in den Basistarif zu wechseln; nach Ablauf dieser Frist würden Beiträge nur noch entsprechend dem Basistarif übernommen. Die Klägerin bat die Beklagte mit Schreiben vom 18. Oktober 2009, angesichts der besonderen Umstände weiterhin die vollen Beiträge zur Krankenversicherung zu übernehmen. Dies tat die Beklagte zunächst auch. Der Beitrag zur Krankenversicherung betrug ab Januar 2010 monatlich 700,16 Euro.

Am 28. Oktober 2010 schrieb die Beklagte die Klägerin erneut an und teilt...

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