Entscheidungsstichwort (Thema)

Geltendmachung von Prozesszinsen im sozialgerichtlichen Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist die Geltendmachung von Prozesszinsen nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls in den von § 197a SGG erfassten Verfahren und folgt aus der entsprechenden Anwendung von §§ 291, 288 BGB. Diesen Vorschriften ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zu entnehmen, wonach ein Schuldner, auch wenn er sich in redlichem Glauben, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, auf einen Prozess einlässt, nach Treu und Glauben dem obsiegenden Gläubiger für die Nutzungen Ersatz zu leisten hat, die diesem während der Dauer des Prozesses vorenthalten werden.

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Februar 2006, ergänzt durch Beschluss vom 17. Februar 2006 , aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 625,94 € zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist noch ein Anspruch auf Prozesszinsen.

Die Klägerin übernahm als Integrationsamt ab 1. März 2002 für die schwer hörgeschädigte, bei der Beklagten versicherte D. R. die Kosten einer Arbeitsassistenz in Gestalt eines Gebärdendolmetschers als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes. Hierbei entstanden Kosten von über 30.000 €. Den von der Klägerin gegenüber der Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch nach § 33 Abs. 8 Sätze 2 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch wies Letztere mehrfach zurück.

Am 13. September 2004 hat die Klägerin beim Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.

Mit Schriftsatz vom 11. April 2005 hat die Beklagte den Anspruch auf Erstattung anerkannt.

Dieses Anerkenntnis hat die Klägerin angenommen (§ 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und danach nur noch Prozesszinsen in Höhe von 4% p.a. aus dem mit der Klageerhebung zunächst bezifferten Anteil der Erstattungsforderung in Höhe von 21.680,49 € ab Rechtshängigkeit bis zum Tag vor Begleichung der Forderung durch die Beklagte am 3. Juni 2005 geltend gemacht, insgesamt 625,94 €. Die Klägerin hat diesen Anspruch auf die analog anzuwendenden §§ 288, 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestützt und sich auf die entsprechende ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie anderer Verwaltungsgerichte in Kostenerstattungsverfahren unter Sozialhilfeträgern bezogen. Prozesszinsen könnten und müssten auch für öffentlich-rechtlich begründete Geldforderungen verlangt werden, weil die obsiegende Partei ansonsten einen Zinsverlust erleiden würde. Jede Zahlungsverweigerung mit sich anschließender mehrjähriger Prozessdauer wäre ohne Erhebung von Prozesszinsen ein Gewinn für die unterliegende Partei.

Die Beklagte hat dem unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie anderer Sozialgerichte widersprochen und ausgeführt, dass der in Erstattungsstreitigkeiten nicht einschlägige § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) (Hinweis auf BSG 18. Dezember 1979 - 2 RU 3/79, BSGE 49, 227) eine Zinsregelung beinhalte, sodass keine generelle, durch entsprechende Anwendung der §§ 288, 291 BGB zu schließende Lücke vorliege.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Februar 2006, der Klägerin zugestellt am 22. Februar 2006, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass für die analoge Anwendung der Vorschriften aus dem BGB über Prozesszinsen angesichts der abschließenden Regelungen über Zinsen im Sozialrecht kein Raum sei. Insbesondere § 44 SGB I und § 108 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seien vorliegend jedoch nicht einschlägig. Das Sozialgericht hat in dem Urteil hinsichtlich der Kosten (lediglich und fälschlicherweise unter Bezug auf § 193 SGG) befunden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien, und mit Beschluss vom 17. Februar 2006, zugestellt zusammen mit dem Urteil, nach § 197a SGG i.V.m. § 161 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - neben der Festsetzung des Streitwerts gemäß § 197a SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) - entschieden, dass weder die Klägerin noch die Beklagte Gerichtskosten zu tragen haben.

Mit ihrer vom Sozialgericht im Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen, am 24. Februar 2006 eingelegten Berufung wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Bezugnahme auf die ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Februar 2006, ergänzt durch Beschluss vom 17. Februar 2006, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 625,94 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Hinweis auf die ständige sozialgerichtliche Rechtsprechung.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Ber...

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