Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen des Anspruchs eines Pflegebedürftigen auf Pflegesachleistungen

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Pflegesachleistungen setzt gemäß § 36 Abs. 1 SGB 11 voraus, dass Pflegebedürftigkeit i. S. des § 14 SGB 11 im Umfang der Pflegegrade 2 bis 5 vorliegt.

2. Der erforderliche Hilfebedarf richtet sich allein nach der Schwere der Beeinträchtigung der Selbständigkeit bzw. den gesetzlich benannten Fähigkeiten, nicht nach der Schwere bzw. dem Vorliegen einzelner Erkrankungen.

3. Erforderliche Hilfe bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen wird zwar bei der Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit erfasst, wirkt sich jedoch nicht auf die Ermittlung des Pflegegrades aus.

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1940 geborene Kläger begehrt zunächst Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) dem Grunde nach und höhere Leistungen für Zeiträume der bereits erfolgten Bewilligung.

Der allein lebende Kläger ist multimorbide. Mit Wirkung ab dem 9. August 2010 stellte das Versorgungsamt Hamburg einen Grad der Behinderung (GdB) von insgesamt 60 fest, ab 29. Oktober 2018 einen solchen von 70, ab dem 13. März 2020 dann 80 nebst dem Merkzeichen G. Ein erster und zweiter Antrag auf Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung aus dem November 2010 bzw. Dezember 2015 blieben erfolglos (erster Antrag: nach Ablehnung Widerspruchs- und Klageverfahren sowie letztlich Rücknahme der Berufung vor dem erkennenden Senat - L 1 P 13/12; zweiter Antrag: zurückgenommen)

Mit Schreiben vom 1. Juni 2017 (Eingang bei der Beklagten am 6. Juni 2017) beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Pflegeleistungen in Form von Pflegesachleistungen. Sein Krankheitszustand habe sich verschlechtert, und er benötige für alle schweren Hausarbeiten Hilfe.

Die Beklagte beauftragte den damaligen Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK; jetzt: Medizinischer Dienst ≪MD≫) N1 mit einer Begutachtung in der häuslichen Umgebung des Klägers. Unter dem 23. August 2017 kam die Pflegefachkraft B. zu folgender Einschätzung:

In Modul 1: Mobilität gab die Gutachterin an, der Kläger sei überwiegend selbstständig beim Treppensteigen. In Modul 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten und in Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen sah die Gutachterin keine Beeinträchtigungen des Klägers. In Modul 4: Selbstversorgung gab die Gutachterin an, der Kläger sei überwiegend selbstständig beim Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare. In Modul 5: Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sah die Gutachterin keinen Hilfebedarf. In Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte sah die Gutachterin ebenfalls keine Beeinträchtigungen. Im Ergebnis ergab sich hieraus eine Summe der gewichteten Punkte von 0.

Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 25. August 2017 ab.

Hiergegen erhob der Kläger am 11. September 2017 Widerspruch. Er sei nicht mobil. Aufgrund seiner schweren Gehbehinderung und seiner Agoraphobie seien zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel schon lange tabu. Er könne nicht mal mehr den Müll alleine raustragen. Seine Kinder würden ihm helfen, aber diese seien alle berufstätig und hätten ihrerseits Kinder und würden in L. und N. wohnen. Als Hauptursache für seinen sich verschlechternden Gesundheitszustand seien sein krankes Herz und seine miserable Lungenfunktion zu sehen. Schon deshalb würden ihm die im Antrag aufgeführten Hausarbeiten so schwerfallen. Er brauche dringend Hilfe und müsse mal an die Sonne und in freier Natur durchatmen können. Es müsse ärztlicher Rat eingeholt werden, nur so könnten bestehende schwere Krankheiten und deren Zusammenhänge richtig eingeschätzt und richtige Therapien angeordnet werden. Die Mobilität im Bett, egal wie er sich drehe und wende, stelle sich zunehmend schmerzhafter dar. Er habe länger andauernde Rückenschmerzen. Das Halten einer stabilen Sitzposition könne nur etwa 30 Minuten andauern, danach würden seine Fußknöchel anschwellen. Das Umsetzen von einer erhöhten Sitzfläche etwa auf einen Stuhl verursache bereits beim Anlaufen Schmerzen und sei ohne einen Stock mit anatomischen Griffen überhaupt nicht machbar. Das Fortbewegen ohne den Stock in seiner Wohnung erhöhe die Sturzgefahr. Beim Treppensteigen müsse eine Begleitperson seinen Stock halten und ihn von Stufe zu Stufe begleiten, während er seitwärts mit beiden Händen das Geländer festhaltend die Stufen bewältige. Außerhalb seiner Wohnung könne er ohne eine Begleitperson keinen Schritt machen aufgrund der Sturzgefahr. Seine Pflege sei nicht in geeigneter Weise sichergestellt.

Die Beklagte beauftragte daraufhin erneut den MDK mit einer Begutachtung, diesmal nach Aktenlage. Unter dem 20. Dezember 20...

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