Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung des abhängig Beschäftigten von einem selbständig Tätigen bei einer Pflegekraft

 

Orientierungssatz

1. Bei der Abgrenzung der sozialversicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist Versicherungspflicht anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist, in dessen Betrieb eingegliedert ist und dessen Weisungsrecht unterliegt. Dagegen ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, die eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet, vgl. BSG, Urteil vom 11. März 2009 - B 12 KR 21/07 R.

2. Die regelmäßige Erbringung von Pflegeleistungen für einen anderen Vertragspartner als den Patienten ist als Arbeitsverhältnis aufzufassen, es sei denn, es treten besondere Umstände hinzu, welche die Abhängigkeit der Pflegekraft im Einzelfall aufheben.

3. Daran ändert nichts, wenn die Pflegekraft berechtigt ist, Arbeitsangebote abzulehnen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht bei einer fehlenden Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, einem fehlenden Urlaubsanspruch oder fehlender sozialer Absicherung.

4. Die Zuweisung von Risiken an den Arbeitenden spricht nur dann für eine Selbständigkeit, wenn damit größere Freiheiten und größere Verdienstmöglichkeiten verbunden sind. Allein die Zuweisung von Risiken macht einen abhängig Beschäftigten noch nicht zum Selbständigen, vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1990 - 11 RAr 73/90.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.08.2013; Aktenzeichen B 12 R 52/12 B)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. August 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1 bis 5, die ihre Kosten jeweils selbst tragen

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines anlassbezogenen Betriebsprüfungsverfahrens über die Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1.

Die Klägerin betreibt ein medizinisches Dienstleistungsunternehmen, das über eine Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verfügt.

Der 1972 geborene Beigeladene zu 1 schloss mit der Klägerin am 14.01.2004 eine mit "Dienstleistungsvertrag" überschriebene Vereinbarung folgenden Inhalts:

Das Dienstleistungsunternehmen vermittelt Pflegeaufträge auf Provisionsbasis in der stationären und ambulanten Pflege und Betreuung an selbständige Pflegekräfte (Unternehmer).

Mit Wirkung vom 15.01.2004 wird folgender Dienstleistungsvertrag im beiderseitigen Einvernehmen rechtswirksam geschlossen. Dem Mitarbeiter steht es frei, zusätzlich am Markt selbst aufzutreten. Dieser Vertrag wird zunächst für die Dauer von 6 Monaten geschlossen und verlängert sich um jeweils ein Jahr, falls er nicht fristgerecht von einer Vertragspartei gekündigt wird.

1. Die individuelle regelmäßige Arbeitszeit gilt in Vollzeit für 152,0 Stunden im Monatsdurchschnitt als vereinbart. Dies entspricht einer durchschnittlich wöchentlichen Arbeitszeit von 35,0 Stunden. Die individuelle regelmäßige Arbeitsanforderung pro Monat richtet sich nach der Anzahl der Arbeitstage. Im Monat mit: 20 Arbeitstagen beträgt die Monatsarbeitszeit 140,0 Stunden 21 Arbeitstagen 147,0 Stunden 22 Arbeitstagen 154,0 Stunden 23 Arbeitstagen 161,0 Stunden Dies ist als Kernarbeitszeit zu sehen, und immer garantiefrei in Abhängigkeit der jeweils aktuellen wirtschaftlichen Auftragslage zu betrachten.

2. Es wird ein Verrechnungspreis für geleistete Std. (Mo.-Fr.) 15,00 Euro netto Std. (Samstag) 16,00 Euro netto Std. (Sonntag) 16,00 Euro netto Std. (Feiertag) 19,50 Euro netto Std. (Nachtarbeit) 16,00 Euro netto vereinbart. Der Unternehmer stellt auf der Grundlage von Tätigkeitsnachweisen des Dienstleistungsunternehmens Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer bis spätestens zum 3. Werktag des Folgemonats. Das Dienstleistungsunternehmen verpflichtet sich, bis spätestens zum 5. Werktag 50% des in Rechnung gestellten Betrages, den Restbetrag bis zum 20. Kalendertag auf das vom Unternehmer angegebene Konto zu überweisen.

3. Der Unternehmer ist zur unternehmerischen Sorgfalt hinsichtlich seiner Steuerangelegenheiten, Krankenversicherung und Altersvorsorge angehalten und selbst verantwortlich.

4. Dieser Vertrag gilt für mindestens 6 Monate als geschlossen. Eine Kündigungsfrist ist innerhalb von 4 Wochen zum Monatsende möglich.

Das Dienstleistungsunternehmen kann den Vertrag mit sofortiger Wirkung aufkündigen, falls der Vertragspartner seinen vertraglichen Pflichten nicht nachkommt bzw. die berufliche Qualifikation als unzureichend einzuschätzen ist.

5. Sollte der Unternehmer während der Vertragsdauer bzw. für die Dauer von 6 Monaten nach Vertragsbeendigung mit einem vom Dienstleistungsunternehmen vermittelten Auftraggeber eine direkte Honorarvereinbarung abschließen, gilt ein Schadensersatzanspruch auf 25 % de...

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