Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungsabkommen. Rentenantrag. Rentenanspruch. Fiktion. Verjährung. Verjährungshemmung. Verjährungsunterbrechung. Kanada. falsche Angaben im Rentenantrag
Orientierungssatz
1. Eine Verneinung der Frage im kanadischen Rentenantrag, ob der Rentenantragsteller als Versicherter bzw Mitglied an einem Sozialversicherungssystem eines anderen Landes beteiligt (gewesen) ist, obwohl Zeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt wurden, steht grundsätzlich weder der Rentenantragsfiktion des Art 19 Abs 3 S 1 des deutsch-kanadischen Sozialversicherungsabkommens vom 14.11.1985 (SozSichAbk1985 CAN) entgegen noch begründet dieser Tatbestand eine Ausnahme von dieser Fiktion iS des Art 19 Abs 3 S 2 SozSichAbk1985 CAN.
2. § 211 Abs 2 S 1 Alt 2 BGB idF vom 1.1.1964 läßt sich nicht entsprechend auf Antragsverfahren in dem vom Amtsermittlungsgrundsatz (Offizialmaxime) beherrschten sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren anwenden. Während das zivilrechtliche Verfahren von den Parteien "betrieben" werden muss, hat die Verwaltung im sozialrechtlichen Verfahren von Amts wegen den Sachverhalt aufzuklären (§ 20 Abs 1 S 1 SGB 10). Das "Betreiben" iS des § 211 Abs 2 S 1 Alt 2 BGB idF vom 1.1.1964 ist daher ein spezifisches Erfordernis des vom Beibringungsgrundsatz beherrschten zivilrechtlichen Verfahrens, die Vorschrift "passt" auf das sozialrechtliche Verfahren nicht, so dass eine analoge Anwendung ausgeschlossen ist (vgl BSG vom 12.2.2004 - B 13 RJ 58/03 R = BSGE 92, 159 = SozR 4-6580 Art 19 Nr 1).
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente für die Zeit vom 1. April 1995 – 31. Dezember 1995.
Der ... 1930 in B geborene Kläger lebt seit Oktober 1951 in Kanada und besitzt die kanadische Staatsangehörigkeit. Nach einem formlosen Rentenantrag vom 14. März 2000 ging am 27. März 2000 bei der Beklagten der von seinem Prozessbevollmächtigten am 22. März 2000 unterschriebene Vordruck für einen Antrag auf Regelaltersrente ein, in dem Beitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung von April 1944 bis September 1951 aufgeführt waren und die Frage, ob der Kläger eine kanadische Rente beziehe, bejaht wurde. Mit Bescheid von 30. August 2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab dem 1. März 2000 in Höhe von 160,08 DM. Sie wies darauf hin, dass die Zahlung der Rente erst mit dem Antragsmonat beginnen könne. Sobald der kanadische Versicherungsträger das Datum der dortigen Antragstellung mitgeteilt habe, werde sie prüfen, ob jener Antrag gem. Art. 19 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über soziale Sicherheit (DKSVA) auch als Antrag auf eine deutsche Rente anzusehen und damit auch ein früherer Rentenbeginn möglich sei.
Im November 2001 teilte der kanadische Versicherungsträger der Beklagten auf dem dafür vorgesehenen Vordruck ("Verbindungsstellenformular") mit, der Kläger habe dort am 2. Februar bzw. 10. Februar 1995 Rente beantragt. Ferner finde sich dort der als "comment" bezeichnete Hinweis "1995 no intent shown". Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 25. Februar 2002 Regelaltersrente bereits ab dem 1. Januar 1996. Zwar seien, so führte sie aus, Ansprüche aus der deutschen Rentenversicherung nach Aktenlage erstmalig am 14. März 2000 beantragt worden. Da jedoch gemäß Art. 19 DKSVA das Datum des kanadischen Rentenantrags für den Tag der Antragstellung habe herangezogen werden können, dürfe sie – die Beklagte – darüber hinaus die Rente nach den sozialrechtlichen Prinzipien des Sozialgesetzbuches (SGB) auch für vier Kalenderjahre vor Beantragung der deutschen Leistung erbringen. Da Leistungen für Zeiträume vor dem Zahlungsbeginn ohnehin verjährt sein, habe man den Rentenbeginn auf den Zahlungsbeginn verschoben.
Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch und beanstandete die Anwendung der Verjährungsvorschriften. Die bei der Bewilligung der Rente im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung der Beklagten finde weder im SGB noch im DKSVA eine Rechtsgrundlage.
Die Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2002 zurück. Zwar gelte, so führte sie aus, ein in Kanada gestellter Antrag grundsätzlich auch als Antrag auf eine deutsche Leistung, und zwar auch dann, wenn der Berechtigte – wie hier der Kläger – bei der Antragstellung nicht angegeben habe, in Deutschland tätig oder versichert gewesen zu sein. Gleichwohl sei der Anspruch auf Regelaltersrente für die Zeit vor Januar 1996 verjährt. Ansprüche auf Sozialleistungen verjährten gemäß § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch Allgemeiner Teil (SGB I) in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden seien. Die Verjährung sei nicht in Anlehnung an § 220 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch einen Leistungsantrag unterbrochen worden. Die in Art 19 DKSVA geregelte Antragsfiktion habe nicht auch die ...