Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Ausgestaltung des Wahltarifs mit Selbstbehalt. Staffelung des Selbstbehalts in Abhängigkeit von der Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen. Prämienzahlung in gleicher Höhe wie Selbstbehalt

 

Orientierungssatz

Krankenkassen dürfen einen Wahltarif mit Selbstbehalt einführen, der für die Dauer der Entscheidung für den Selbstbehalt die Erstattung eines Teils der gezahlten Beiträge in Form einer Prämienzahlung an das Mitglied in gleicher Höhe wie der Selbstbehalt vorsieht. Diese Satzungsregelung steht nicht in Widerspruch zu § 53 Abs 1 SGB 5.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.11.2011; Aktenzeichen B 1 A 1/11 R)

 

Tenor

Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Juli 2008 verpflichtet, den vom Verwaltungsrat der Klägerin am 9. April 2008 beschlossenen 45. Nachtrag zur Satzung bezüglich Art. I § 13a zu genehmigen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Genehmigung einer Satzungsregelung für einen Wahltarif mit Selbstbehalt.

Die Klägerin ist eine geöffnete Betriebskrankenkasse. Art. I § 13a ihrer geltenden Satzung enthält eine Regelung, wonach freiwillige Mitglieder, die die vollständige Kostenerstattung gewählt haben, jeweils für ein Kalenderjahr einen Tarif mit Selbstbehalt wählen können, wobei der Selbstbehalt gestaffelt nach der Höhe der gezahlten Beiträge EUR 300, EUR 600 beziehungsweise EUR 900 jährlich beträgt. Für die Dauer der Entscheidung für den Selbstbehalt erfolgt eine Beitragserstattung an den Versicherten, die der Höhe nach der jeweiligen Höhe des Selbstbehalts entspricht.

Am 9. April 2008 beschloss der Verwaltungsrat der Klägerin den 45. Nachtrag zur Satzung und legte ihn der Beklagten zur Genehmigung vor. Inhalt dieses Nachtrags war unter anderem eine Änderung von Art. I § 13a der Satzung, der folgende Fassung erhalten soll:

"1. Mitglieder können für sich und ihre familienversicherten Angehörigen abhängig von der Höhe ihrer jährlichen beitragspflichtigen Einnahmen jeweils für ein Kalenderjahr einen Teil der von der S. BKK zu tragenden Kosten übernehmen (Selbstbehalt). Dabei gelten folgende Staffelungen: - Mitglieder, deren beitragspflichtige Einnahmen über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, können einen Selbstbehalt von EUR 600 jährlich übernehmen - Mitglieder, die gemäß § 240 SGB V Abs. 4 Satz 1 den Mindestbetrag bezahlen, können einen Selbstbehalt von EUR 200 jährlich übernehmen - Mitglieder, die einen Beitrag oberhalb des Mindestbeitrags und unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze bezahlen, können einen Selbstbehalt von EUR 400 jährlich übernehmen. (.) 3. Für die Dauer der Entscheidung für den Selbstbehalt erstattet die S. BKK dem Mitglied einen Teil der für den Erstattungszeitraum gezahlten Beiträge als Prämie. Dabei gilt folgende Höhe der Erstattungsbeiträge: - Der Erstattungsbetrag beträgt EUR 600 bei einem Selbstbehalt von EUR 600 - Der Erstattungsbetrag beträgt EUR 400 bei einem Selbstbehalt von EUR 400 - Der Erstattungsbetrag beträgt EUR 200 bei einem Selbstbehalt von EUR 200 Die Zahlung erfolgt halbjährlich nachträglich in Höhe von jeweils der Hälfte des jährlichen Erstattungsbetrags. (.)"

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7. Juli 2008 unter anderem die Genehmigung der Satzungsänderung bezüglich Art. I § 13a ab, da die Regelung nicht im Einklang mit § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) stehe. Die unter Ziffer 3 vorgesehene Prämie in Höhe des dazugehörigen Selbstbehalts widerspreche dem Wesen des Selbstbehalts, da der Teilnehmer kein Risiko trage, wenn er Leistungen in Anspruch nehme. Gemäß § 53 Abs. 1 SGB V müsse jedoch mindestens das Risiko beim Teilnehmer verbleiben, dass ein Teil der entstandenen Leistungskosten nicht von der Kasse übernommen werde.

Die Klägerin hat dagegen am 7. August 2008 Klage erhoben. Sie trägt vor, die Versagung der Genehmigung beruhe auf der nicht näher begründeten Auffassung der Beklagten, dass beim Versicherten ein Restrisiko bestehen müsse. Dafür gebe aber weder der Wortlaut von § 53 Abs. 1 SGB V noch dessen Entstehungsgeschichte etwas her. Der Gedanke des Selbstbehalts stamme aus der privaten Krankenversicherung. In das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sei er über das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-Neuordnungsgesetz) gekommen. Die Regelung sei damals aufgrund ihrer Verwandtschaft zur privaten Krankenversicherung auf freiwillig Versicherte beschränkt gewesen, die Kostenerstattung gewählt hätten. Auch damals habe die Selbstbehaltsregelung aber mit Beitragsrückzahlungen verbunden sein können. § 53 Abs. 1 SGB V in seiner geltenden Fassung habe das Selbstbehaltsrecht auf alle Mitglieder der Krankenkasse ausgedehnt und es auch vom Kostenerstattungsprinzip abgekoppelt. Aus der Entstehungsgeschichte sei daher nicht zu ...

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