Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung des SGB 2-Leistungsberechtigten zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente
Orientierungssatz
1. Nach § 12a S. 1 SGB 2 sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Nach S. 2 Nr. 1 dieser Vorschrift sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.
2. § 1 UnbilligkeitsV statuiert, wonach Hilfebedürftige nach Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, wenn die Inanspruchnahme unbillig wäre. Der Katalog der Unbilligkeitsgründe der §§ 2 bis 5 der UnbilligkeitsV ist abschließend.
3. Die ab 1. 1. 2017 in Kraft getretene Neuregelung des § 6 UnbilligkeitsV sieht vor, dass die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente immer dann unbillig ist, wenn dadurch Hilfebedürftigkeit nach dem 4. Kapitel des SGB 12 eintreten würde.
4. Die Aufforderung an den Leistungsberechtigten zur Beantragung einer vorrangigen Leistung steht im Ermessen des SGB 2-Leistungsträgers.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des Beklagten an die Klägerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.
Die am … 1952 geborene Klägerin stand beim Beklagten seit dem Jahr 2005 im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit Schreiben vom 7. Mai 2014 wies der Beklagte die Klägerin unter Bezugnahme auf § 12a SGB II darauf hin, dass eine Verpflichtung bestehe, ab Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters auch vorzeitig in Anspruch zu nehmen, und bat die Klägerin um Anforderung einer Rentenauskunft. Aus der sodann von der Klägerin übersandten Rentenauskunft der späteren Beigeladenen, der D., vom 5. August 2013 ergab sich, dass die Klägerin mit Erreichen der Regelaltersgrenze am 22. November 2017 voraussichtlich eine monatliche Rente i.H.v. 681,98 Euro beziehen werde. Eine vorzeitige Inanspruchnahme der Regelaltersrente sei nicht möglich, wohl aber der Altersrente für langjährig Versicherte. Insoweit sei der frühestmögliche Rentenbeginn der 1. Juni 2015, dies bei einem Rentenabschlag von 9 %.
Mit Bescheid vom 12. Juni 2014 forderte der Beklagte die Klägerin erstmals auf, umgehend eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Die zu beantragende Altersrente solle am 1. Juni 2015 beginnen. Auf den Widerspruch der Klägerin hob der Beklagte den Bescheid - "aus formalen Gründen", wie der Klägerin mitgeteilt wurde - auf (Abhilfebescheid vom 19.8.2014). Zugleich wies er die Klägerin darauf hin, dass eine Verpflichtung zur Rentenantragstellung mit Vollendung des 63. Lebensjahres bestehe.
Am 9. Oktober 2015 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung mit Gültigkeit bis zum 8. April 2016, in der sich der Beklagte u.a. verpflichtete, die Klägerin zu beraten, und die Klägerin, sich weiterhin um Arbeit zu bemühen. Im entsprechenden Termin bei der Arbeitsvermittlung berichtete die Klägerin, derzeit im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes als Betreuungskraft tätig zu sein. Im Vermerk des Arbeitsvermittlers heißt es, die Klägerin habe berichtet, dass sie inzwischen einen Anspruch auf Rente habe, diese jedoch nicht in Anspruch nehmen wolle, da ihr die Rente zu niedrig sei. Nach eigenen Angaben könne und wolle die Klägerin arbeiten. Ein Beschäftigungsverhältnis bestehe derzeit aber nicht. Die Klägerin sei auf ihre Pflicht hingewiesen worden, eine vorrangige Leistung zu beantragen, sie sehe dies jedoch nicht ein. Es sei eine neue Eingliederungsvereinbarung mit der Klägerin geschlossen worden. Weiter heißt es: "Aufgrund des Alters, des beruflichen Werdeganges und der Persönlichkeitsstruktur ist mit einer Integration nicht zu rechnen. Kd will nicht von der AV unterstützt werden (…). Als gemeinsames Ziel wurde festgelegt: Aufnahme Tätigkeit jenseits 1. Arbeitsmarkt."
Mit Bescheid vom 19. Oktober 2015 forderte der Beklagte die Klägerin erneut auf, eine geminderte Altersrente zu beantragen, dies bis spätestens zum 5. November 2015. Zur Begründung führte der Beklagte aus, eine geminderte Altersrente könne den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II verringern oder ganz ausschließen. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte sei er, der Beklagte, zu der Entscheidung gekommen, diese Aufforderung an die Klägerin zu stellen. Er sei gehalten, wirtschaftlich und sparsam zu handeln. Die Klägerin sei verpflichtet, ihre Hilfebedürftigkeit zu beseitigen oder zu verringern. Es seien keine Gründe ersichtlich, die gegen eine vorzeitige Beantragung sprechen würden.
Die Klägeri...