Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Erforderlichkeit der Entlassung des Patienten bei fehlender Notwendigkeit stationärer Behandlung. Unvereinbarkeit einer stattdessen erfolgenden Beurlaubung des Patienten mit den Regelungen zur Beurlaubung und denen zur Abrechnung. Aspekt der fiktiven wirtschaftlichen Alternativbehandlung
Orientierungssatz
1. Wenn eine Krankenhausbehandlung nicht mehr notwendig ist, insbesondere statt einer Behandlung mit den speziellen Mitteln des Krankenhauses eine - wenn auch vorübergehende - ambulante Weiterbehandlung ausreicht, ist der Patient zu entlassen.
2. Eine stattdessen erfolgende Beurlaubung eines Patienten durch das Krankenhaus unter dem Aspekt der fiktiven wirtschaftlichen Alternativbehandlung ist weder mit den Regelungen zur Beurlaubung noch mit denen zur Abrechnung zu vereinbaren.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Der Streitwert wird für das Klage- und das Berufungsverfahren auf jeweils 1219,98 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung nach Aufrechnung unter dem Gesichtspunkt fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens.
Die Klägerin ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses, in dem die am … 1935 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte A.H. (im Folgenden: Versicherte) zunächst in der Zeit vom 5. bis 11. Mai 2011 (Klinik für Innere Medizin) und dann noch in der Zeit vom 19. bis 31. Mai 2011 (Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Tumorchirurgie) behandelt wurde.
Die erste Aufnahme erfolgte bei seit vier Tagen auftretenden peranalen Blutabgängen zur Diagnostik und Therapie. Nachdem ein Analkarzinom diagnostiziert worden war, wurde die Versicherte zunächst in die ambulante Weiterbehandlung entlassen. Das weitere Vorgehen sollte in der interdisziplinären Tumorkonferenz des Krankenhauses am folgenden Tag, dem 12. Mai 2011, besprochen werden. Am 17. Mai 2011 stellte die Klägerin der Beklagten für diese Behandlung einen Betrag von 1219,98 Euro in Rechnung (Fallpauschale ≪Diagnosis Related Group ≪≪DRG≫≫ ≫ G60B ≪Bösartige Neubildung der Verdauungsorgane, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere CC≫).
Dem Ergebnis der Besprechung in der Tumorkonferenz vom 12. Mai 2011 entsprechend wurde die Versicherte am 19. Mai 2011 zur laparoskopischen Sigmoideostoma-Anlage und Adhäsiolyse sowie zur Implantation eines Ports erneut im Krankenhaus der Klägerin aufgenommen. Außerdem wurde eine Sonographie der Leisten durchgeführt, die keinen Anhalt für eine Lymphknotenmetastasierung erbrachte. Für die weitere Behandlung wurden Termine für die sich anschließende Strahlen- und Chemotherapie in einem anderen Krankenhaus und in einer onkologischen Schwerpunktpraxis vereinbart. Für diesen zweiten Aufenthalt stellte die Klägerin der Beklagten am 6. Juni 2011 einen Betrag von 7412,46 Euro in Rechnung (DRG G18B ≪Eingriffe am Dünn- und Dickdarm außer bei angeborener Fehlbildung oder Alter ≫ 1 Jahr, ohne hochkomplexen Eingriff, ohne komplizierende Diagnose, mit komplexem Eingriff).
Die Beklagte beglich zunächst beide Rechnungen, bat jedoch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) um Prüfung, ob es sich um ein unzulässiges sog. Fallsplitting gehandelt habe, was sie der Klägerin gegenüber mit Schreiben vom 10. Juni 2011 anzeigte.
Der Gutachter des MDK Dr. D. kam unter dem 3. November 2011 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine DRG vorzunehmen habe, weil die Erstbehandlung zum Zeitpunkt der Entlassung aus medizinischer Sicht noch nicht abgeschlossen gewesen sei; es habe sich bei dem zweiten Aufenthalt also um eine Weiterbehandlung und nicht um eine Wiederaufnahme gehandelt.
Die daraufhin von der Beklagten an die Klägerin ergangene Aufforderung, eine Fallzusammenführung vorzunehmen, wies Letztere mit der Begründung zurück, dass keine der Wiederkehrerregeln der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2011 zutreffe. Die vorliegend einschlägige DRG G60B sei nach § 2 Abs. 2 FPV 2011 gekennzeichnet, und da § 2 Abs. 3 FPV 2011 nicht einschlägig sei, verbleibe es bei der Abrechnung von zwei Fallpauschalen.
Die Beklagte blieb bei ihrer Auffassung und wies ergänzend darauf hin, dass auch der Ministerialrat des Bundesministeriums für Gesundheit Tuschen in einem Rundschreiben vom 22. April 2005 die Auffassung vertrete, dass die Unterbrechung einer Krankenhausbehandlung vor Abschluss der Behandlung nicht als Entlassung, sondern als Beurlaubung zu werten sei. Am 16. April 2012 verrechnete die Beklagte den Betrag der Rechnung vom 16. Mai 2011 für den ersten Aufenthalt der Versicherten in Höhe von 1219,98 Euro mit einer anderen unstreitigen Forderung der Klägerin.
Am 9. April 2014 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und die Verurteilung der...