Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung des Eintritts des Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit bzw. der vollen Erwerbsminderung. Rente wegen Erwerbsminderung. Versicherungsrechtliche Voraussetzungen. Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens. Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Konkrete Betrachtungsweise

 

Orientierungssatz

1. Ist der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit vor Inkrafttreten des neuen Erwerbsminderungsrechts zum 1. 1. 2001 eingetreten, so gilt der Versicherte aus Sicht des ab 1. 1. 2001 geltenden neuen Erwerbsminderungsrechts nach Maßgabe von § 43 Abs. 2 SGB 6 als voll erwerbsgemindert.

2. Nach dem bis zum 31. 12. 2000 geltenden Recht war immer von Erwerbsunfähigkeit des Versicherten auszugehen, wenn dieser zwar noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bis unter acht Stunden täglich erwerbsfähig sein konnte, er jedoch keinen entsprechenden Arbeitsplatz innehatte und ihm der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen war.

3. Die zur Rentengewährung erforderliche Vorversicherungszeit muss vor Eintritt des Versicherungsfalls zurückgelegt worden sein. War der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit bzw. der vollen Erwerbsminderung sowohl nach altem als auch nach neuem Recht bereits eingetreten, so kann durch eine Veränderung der gesundheitlichen Situation weder ein neuer Versicherungsfall der verminderten Erwerbsfähigkeit noch ein weiterer Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eintreten.

 

Normenkette

SGB VI § 43; SGB VI a.F. § 44; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. März 2012 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. Mai 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist im Überprüfungsverfahren die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs-minderung.

Die am xxxxx 1958 geborene Klägerin, die den Beruf einer Hauswirtschafterin erlernt hat und ab 1977 bis zum 4. Mai 1998 als Pflegehelferin beschäftigt, danach arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos war, beantragte erstmalig im Mai 2001 unter Hinweis auf ein erloschenes Leistungsvermögen die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 15. November 2001 und Widerspruchsbescheid vom 21. März 2002 ab, weil die Versicherte auch unter Berück-sichtigung einer generalisierten Angststörung, einer Persönlichkeitsstörung, eines Diabetes mellitus und einer Adipositas per magna noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Publikumsverkehr und ohne besonders engen Kontakt zu Menschen regelmäßig ganztägig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Auf die hiergegen fristgerecht erhobene Klage (Sozialgericht Hamburg S 39 RJ 427/02) ist die Klägerin auf Veranlassung des Gerichts durch die Ärztin für Psychiatrie und Neurologie, Sozialmedizin Dr. B. untersucht und schriftlich begutachtet worden. Diese gelangte zu der Einschätzung, dass das Leistungsvermögen der Klägerin unter anderem aufgrund einer generalisierten Angststörung zwar nicht aufgehoben sei, diese wegen erhöhter Erschöpfbarkeit aber seit Mai 1998 Tätigkeiten nur noch drei bis weniger als sechs Stunden täglich verrichten könne. Nachdem die Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass in dem danach für die Beurteilung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen maßgeblichen Zeitraum vom Mai 1993 bis Mai 1998 nur 13 anstelle von 36 Monaten Pflichtbeiträge vorhanden seien, nahm die Klägerin die Klage gegen den ablehnenden Rentenbescheid zurück.

Aus einem von der Deutschen Rentenversicherung Nord veranlassten Heilverfahren in der C.-Klinik M. wurde die Klägerin am 24. Juli 2008 mit den Diagnosen einer generalisierten Angststörung, einer Adipositas Grad 3, eines Diabetes mellitus, eines Bluthochdrucks und eines Lymphödems der Beine als nicht arbeitsfähig und nur noch leistungsfähig für leichte Tätigkeiten unter drei Stunden täglich entlassen. Ihr Bewegungsradius sei aufgrund ihrer Angsterkrankung stark eingeschränkt. Als Anforderung erlebte Aufgaben führten zu massiven körperlichen Symptomen wie Schwitzen, Atemnot, Herzrasen und Schwindelgefühl. Es werde eine Berentung empfohlen.

Daraufhin beantragte sie erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 22. September 2008 mit dem erneuten Hinweis auf das Fehlen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab. Nach den getroffenen Feststellungen bestehe volle Erwerbsminderung seit dem 31. Mai 1998. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und wies zur Begründung darauf hin, dass volle Erwerbsminderung erst seit dem Ende des Kuraufenthalts in Malente bestehe. Zuvor habe sie ein drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen besessen, was ihr auch mehrfach bescheinigt worden sei, so dass sich ein neuer Leistungsfall der nunmehr vollen Erwerbsminderung ergebe. Die Beklagte wies diesen Widerspruch mit Bescheid vom 10. August 2009 z...

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