Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzlicher Ausschluss der studentischen Krankenversicherung über das 30. Lebensjahr hinaus

 

Orientierungssatz

1. Mit der beitragsgünstigen studentischen Krankenversicherung (KVdS) des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB 5 hat der Gesetzgeber den besonderen wirtschaftlichen Belangen der Studenten Rechnung getragen. Gründe, die eine Verlängerung der Versicherungspflicht über das 30. Lebensjahr hinaus rechtfertigen, sind eng auszulegen. Hinderungsgründe rechtfertigen die Fortsetzung der KVdS nur dann, wenn sie für die Überschreitung der Alters- oder Semestergrenze ursächlich gewesen sind.

2. Die Art der Ausbildung rechtfertigt dann eine längere Versicherungspflicht als Student, wenn es sich um einen sehr zeitaufwändigen und langwierigen Studienabschluss handelt oder wenn es sich um ein mehrgleisiges Studium handelt. Ist die Länge der Studienzeit durch einen zweifachen Studienwechsel geprägt, so ist eine Verlängerung der Versicherungspflicht über das 30. Lebensjahr hinaus ausgeschlossen.

3. Die gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.12.2020; Aktenzeichen B 12 KR 71/20 B)

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist das Bestehen der Versicherungspflicht des Klägers in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) - und damit der Mitgliedschaft bei der Beklagten - über das Ende des Hochschulsemesters hinaus, in dem dieser das 30. Lebensjahr vollendete.

Der am ... Mai 1984 geborene Kläger absolvierte nach seinem Mittleren Schulabschluss im Jahr 2001 vom 11. September 2001 bis zum 18. Juli 2003 eine Berufsausbildung, die Voraussetzung für seinen Besuch der Berufsoberschule vom 9. September 2003 bis zum 23. Juli 2004 mit Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung war. Nach seinem daran anschließenden Zivildienst vom 1. September 2004 bis zum 31. Mai 2005 begann der Kläger am 1. Oktober 2005 ein Mathematik-Studium, das er am 31. August 2007 ohne Abschluss beendete. Ebenfalls ohne Abschluss studierte er vom 1. Oktober 2007 bis zum 30. September 2011 Umwelttechnik. Zum Wintersemester 2011/2012 begann der Kläger ein Informatik- Bachelor-Studium an der Fachhochschule A. und hatte - und hat seither - seinen Wohnsitz in den Niederlanden und war als in der KVdS Versicherungspflichtiger Mitglied der Beklagten.

Mit Bescheid vom 18. Juni 2014 stellte die Beklagte nach vorheriger Anhörung des Klägers das Ende von dessen Versicherungspflicht in der KVdS mit Ablauf des Semesters am 31. August 2014 fest. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Versicherungspflicht über das - am 5. Mai 2014 vollendete - 30. Lebensjahr hinaus lägen nicht vor.

Der Kläger legte am 16. Juli 2014 Widerspruch ein und gab an, dass er davon ausgegangen sei, dass bereits seine Art der Ausbildung und insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen über den Zweiten Bildungsweg sowie das Ableisten des Zivildienstes ein Fortbestehen der KVdS nach Überschreiten der Altersgrenze rechtfertigten. Daneben hätten ihn „persönliche Gründe“ davon abgehalten, das Studium erfolgreich durchzuführen. So sei er fälschlicherweise einer Ordnungswidrigkeit beschuldigt worden und seit 2006 regelmäßig Gegenstand von Ermittlungen der bayerischen Justiz gewesen.

Unter dem 13. August 2014 stellte die Beklagte fest, dass es beim Ende der KVdS am 31. August 2014 bleibe. Die vom Kläger genannten „persönlichen Gründe“ könnten nicht für die Verlängerung der KVdS herangezogen werden. Die Zeiten des Erwerbs des Hochschulabschlusses im Zweiten Bildungsweg seien grundsätzlich zu berücksichtigen. Der Kläger habe jedoch zwei Studiengänge abgebrochen, und die auf die abgebrochenen Studiengänge entfallenden Zeiten seien zusammen länger als die Zeit, die er für den Zweiten Bildungsweg benötigt habe, sodass eine Verlängerung der KVdS auch aus diesem Grund nicht möglich sei.

Da der Kläger keine freiwillige Weiterversicherung bei der Beklagten beantragte, meldete Letztere dem niederländischen Krankenversicherungsträger den Wegfall des Sachleistungsanspruchs bei Krankheit, woraufhin der Träger des Wohnorts den Kläger mit Wirkung ab 1. September 2014 als versichert eintrug.

Der Kläger hielt an seinem Widerspruch fest und verwies darauf, dass er zur Finanzierung seines Lebensunterhalts auf gelegentliche Hilfsjobs angewiesen sei, die er insbesondere in A. finden könne. Er bitte um Erläuterung, wie er als Student mit niederländischer Krankenversicherung eine Arbeit in Deutschland aufnehmen könne und welcher Krankenversicherungsschutz dann bestehen solle. Dies könne seiner Auffassung nach nur die KVdS sein.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2016 als unbegründet zurück. Nicht jeder der in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V genannten Hinderungsgründe ziehe tatsächlich eine Verlängerung der Versicherungspflicht nach sich...

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