Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenkasse. Werbung. Beschaffung von Namen und Anschriften über die Arbeitgeber ohne Einverständnis der Betroffenen. aufsichtsrechtliche Verpflichtung
Orientierungssatz
1. Es verstößt gegen geltendes Recht, wenn eine Krankenkasse von Arbeitgebern Namen und Anschriften von Auszubildenden oder Berufsanfängern oder sonst für eine Mitgliedschaft bei ihr in Frage kommenden Personen sowie von nicht berücksichtigten Bewerbern um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz erbittet oder entgegennimmt oder derartige Angaben auf sonstige Art zur Aufklärung, Werbung und Gewinnung von Mitgliedern verwendet, soweit die Arbeitgeber nicht das ausdrückliche Einverständnis der Betroffenen zur Überlassung ihrer Daten an die Krankenkasse haben.
2. Die Vorschrift des § 284 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 5 gibt für diese Werbepraxis keine Ermächtigungsgrundlage ab. Wegen ihrer speziellen und abschließenden Regelung für den Bereich der Krankenversicherung, die enger ist als die allgemeinen Datenschutzregelungen des § 35 SGB 1 und der §§ 67ff SGB 10, geht sie diesen Bestimmungen vor.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Bundesversicherungsamt (BVA), welches die Beklagte vertritt, den aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheid vom 18. Juni 1993 gegenüber der Klägerin, einer Ersatzkasse, zu Recht erlassen hat.
Zwischen den Beteiligten war seit Ende der 70er Jahre umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig sei, dass sich u.a. Ersatzkassen zum Zwecke der Mitgliederwerbung von Auszubildenden oder Berufsanfängern an Betriebe bzw. Arbeitgeber wenden, um Adressen von Auszubildenden oder Berufsanfängern zu erhalten, und für den Fall, dass ihnen die Arbeitgeber solche Adressen überlassen, auf die betreffenden Auszubildenden oder Berufsanfänger zugehen, um sie für sich als Mitglieder zu gewinnen. Die Ersatzkassen rechtfertigten ihr diesbezügliches Verhalten damals mit einer ungünstigeren Wettbewerbssituation im Vergleich zu den. Primärkassen, hielten es durch Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) für gedeckt und leiteten die Berechtigung für ihre Vorgehensweise auch aus der Verpflichtung zur Beratung und Aufklärung nach §§ 13, 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch -- Allgemeiner Teil (SGB I) her.
Das BVA legte demgegenüber in seinen Wettbewerbsgrundsätzen vom 24. Mai 1983 nieder, es sei unzulässig, Adressmaterial für die Aufklärung und Werbung zu verwenden, bei dem die Möglichkeit bestehe, dass es unter Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen erlangt oder weitergegeben worden sei. Anderenfalls werde das informationelle Selbstbestimmungsrecht der betreffenden Auszubildenden oder Berufsanfänger verletzt. Wenn der Arbeitgeber ohne deren Einwilligung ihr Adressmaterial an die Ersatzkassen weitergebe, so verstoße er gegen arbeitsrechtliche Grundsätze. Da zumindest bei größeren Betrieben von einer dateimäßigen Erfassung des Adressmaterials auszugehen sei, nähmen die Krankenkassen insoweit in Kauf, dass sie Adressmaterial unter Verstoß gegen des BDSG erlangten und zur Werbung benutzten, wenn die betreffenden Auszubildenden oder Berufsanfänger nicht ihre Einwilligung zur Übermittlung ihres Adressmaterials erteilt hätten.
Der Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) vermochte sich mit dieser Rechtsauffassung nicht anzufreunden. Zur Wahrung der berechtigten Interessen der Ersatzkassen sei das kritisierte Werbungsvorgehen vielmehr geradezu erforderlich. Die Auszubildenden oder Berufsanfänger würden durch entsprechende Werbemaßnahmen der Ersatzkassen auch allenfalls belästigt, keinesfalls aber in ihren schutzwürdigen Belangen beeinträchtigt.
Unter dem 1. Oktober 1987 teilte das BVA den Ersatzkassen, auch der Klägerin, seine Rechtsauffassung bezüglich der Anschriftenermittlung über Auszubildende und Berufsanfänger bei Arbeitgebern erneut mit, die es bereits in einem Schreiben vom 22. Juni 1987 gegenüber der Deutschen Angestellten-Krankenkasse und dem VdAK geäußert hatte. Der Arbeitgeber dürfe Anschriftenlisten von Arbeitnehmern oder (künftig) Auszubildenden den Krankenkassen zu Werbezwecken nicht ohne Einwilligung der Betroffenen überlassen. Dies folge aus seiner Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit von Personalunterlagen und bei Speicherung der Daten in Dateien auch aus datenschutzrechtlichen Vorschriften (§ 24 BDSG). Wenn die Möglichkeit bestehe, dass Adressmaterial unter Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen erlangt oder weitergegeben worden sei, dürften die Krankenkassen es nicht für Aufklärung und Werbung verwenden. Mindestens müsse ihnen die Bestätigung des Arbeitgebers oder des der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Mitarbeiters vorliegen, dass der Betroffene schriftlich in die Weitergabe seiner Daten an die Krankenkasse eingewilligt habe.
Die Ersatzkassen, vornehmlich die Barmer Ersatzkasse, schlossen sich dieser Rechtsauffassung des BVA weiterhin nicht an und lehnten sie ab, woraufhin das BVA deshalb 1988 Überle...