Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. nicht selbst genutztes Hausgrundstück. ungeteilte Erbengemeinschaft. Verwertbarkeit. offensichtliche Unwirtschaftlichkeit. besondere Härte. Darlehen. Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verwertung eines geerbten Miteigentumsanteils an einem Hausgrundstück ist nur dann offensichtlich unwirtschaftlich, wenn dies einer Verschleuderung gleichkäme.
2. Im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist die Bewilligung einer zu Unrecht gewährten Leistung im Regelfall zurückzunehmen; eine Begründungspflicht entfällt.
Orientierungssatz
1. Der erforderliche Zeitaufwand für eine Erbauseinandersetzung gem § 2042 Abs 1 BGB oder für die Verfügung des Miterben gem § 2033 Abs 1 S 1 BGB zur Veräußerung eines geerbten Hausgrundstücks begründet nur ein vorübergehendes Verwertungshindernis, dem durch die darlehensweise Gewährung von Leistungen gem § 9 Abs 4 SGB 2 aF Rechnung zu tragen ist.
2. Für die Beurteilung der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit einer Verwertung iS des § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 Alt 1 SGB 2 ist - wie auch entsprechend im Arbeitsförderungsrecht - ein rein wirtschaftlich-ökonomischer Maßstab anzulegen (vgl BSG vom 3.5.2005 - B 7a/7 AL 84/04 R = SozR 4-4220 § 1 Nr 4). Die Zumutbarkeitsgesichtspunkte oder generellen Härtefallerwägungen sind im Rahmen der Härteklausel des § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 Alt 2 SGB 2 zu prüfen.
3. Die Verwertung eines Hausgrundstücks ist dann nicht offensichtlich unwirtschaftlich iS des § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 SGB 2, wenn zwar der erzielbare Verkaufswert unter dem von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen geschätzten Verkehrswert liegt, jedoch aufgrund der laufenden Kosten, der zu erwartenden altersbedingten Wertminderung und einer nicht ausreichenden Rendite im Fall einer Vermietung auch eine Vergleichsperson den Verkauf zeitnah betrieben hätte. Dies trifft selbst dann zu, wenn davon auszugehen ist, dass bei einem Verkauf im Wege der Zwangsversteigerung regelmäßig ein Preis erzielt wird, der hinter dem eines freihändigen Verkaufs zurückbleibt. Zukünftige, den Verkehrswert nicht aktuell beeinflussende Rendite- oder Gewinnaussichten müssen bei der Beurteilung der offensichtlich unwirtschaftlichen Verwertung außer Betracht bleiben.
4. Bei der Prüfung der Vermögensverwertung ist gem § 12 Abs 4 S 1 SGB 2 und § 194 BBauG der Verkehrswert zu Grunde zu legen und der Sachwert eines Hausgrundstücks ohne Bedeutung.
5. Maßgeblicher Bezugszeitpunkt für die Prüfung der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit gem § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 SGB 2 ist der Zeitpunkt, an dem der Vermögensgegenstand für das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit erstmalig relevant wird.
6. Die Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu § 12 SGB 2 sind allein auf die Verwertung von Lebensversicherungen zugeschnitten; zur Anwendung auf die Verwertung nicht selbst genutzter Immobilien sind sie - mangels Bestimmbarkeit des Begriffs "Substanzwert" - nicht geeignet.
7. Bei der Bestimmung der besonderen Härte iS des § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 Alt 2 SGB 2 kommt es darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschriften bezüglich der Vermögensberücksichtigung in § 12 Abs 2 und 3 SGB 2 wegen des Vorliegens einer Atypik zu einem den Leitvorstellungen der SGB 2-Vorschriften nicht entsprechenden Ergebnis führen würde (vgl LSG Stuttgart vom 7.11.2006 - L 13 AL 941/06).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. September 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II.
Der am … 1960 geborene alleinstehende Kläger, der seinerzeit Arbeitslosenhilfe bezog, erbte von seinem am 6. September 2004 verstorbenen Vater in ungeteilter Erbengemeinschaft mit seiner Schwester ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück in A. G. bei B., Landkreis L.. Das Grundstück ist mit zwei Hypotheken in Höhe von nominell 42.000.- DM bzw. 12.700 .- DM - beide eingetragen am 7. April 1972 - und einer Grundschuld in Höhe von nominell 40.000.- DM - eingetragen am 30. Oktober 1978 - belastet. Das Haus wurde seit dem Erbfall weder durch den Kläger noch durch seine Schwester bewohnt.
Am 28. Oktober 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dabei beantwortete er die Frage nach vorhandenem Vermögen dahingehend, dass er gemeinsam mit seiner Schwester ein Haus geerbt habe, dieses aber nicht verwertbar sei, da die Schwester in einen Verkauf nicht einwillige. Diese erklärte unter dem 29. November 2004, dass sie das gemeinsam geerbte Haus voraussichtlich nicht verkaufen oder vermieten werde.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2004 be...