Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. keine Kürzung der Regelleistung bei kostenfreier Vollverpflegung durch Familienangehörigen. Einkommensberücksichtigung. fehlender Marktwert
Leitsatz (amtlich)
Leistungen Dritter - wie hier die durch den Sohn des Antragstellers gewährte Verpflegung - mindern nicht den Bedarf des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, sondern mindern allenfalls die Leistungshöhe wegen zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen.
Orientierungssatz
1. Eine Sachleistung hat nur dann Geldeswert iS von § 11 Abs 1 S 1 SGB 2, wenn sie einen bestimmten in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert besitzt, das heißt, sie muss einen Marktwert besitzen und gegen Geld tauschbar sein. Der Tausch oder Verkauf einer durch einen Angehörigen gewährten Verpflegung dürfte aber bei lebensnaher Betrachtung ausgeschlossen sein.
2. Auch die Neuregelung des § 2 Abs 5 AlgIIV 2008 über die Berücksichtigung von bereitgestellter Vollverpflegung als Einkommen rechtfertigt kein anderes Ergebnis, da es sich nach dem Wortlaut der Vorschrift und den Motiven des Verordnungsgebers hierbei "nur" um vom Arbeitgeber oder bei stationärem Aufenthalt bereitgestellte Verpflegung handelt.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 19. November 2007 abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 27. Oktober 2007 bis 29. Februar 2008 eine Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 20 Abs. 2 des 2. Sozialgesetzbuches (SGB II) in Höhe von 347,00 € monatlich zu bewilligen.
Die Beschwerde, soweit in dem Beschluss des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 19. November 2007 die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren im Hinblick auf die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutzes (L 8 B 8/08) Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin … eigeordnet.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge für das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller vorgenommenen Kürzung der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 2 SGB II in Höhe von 121,45 € monatlich auf Grund einer "Vollverpflegung" des Antragstellers durch seinen Sohn streitig.
Der 1950 geborene und geschiedene Antragsteller (und hiesige Beschwerdeführer) beantragte unter dem 13. September 2007 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Im Rahmen der Antragstellung gab er an, er habe freies "Wohnrecht" bei seinem 1976 geborenen Sohn, von ihm werde auch Verpflegung in Form von Frühstück, Mittag- und Abendessen zur Verfügung gestellt.
Mit Bescheid vom 24. September 2007 bewilligte die Antragsgegnerin unter anderem für den Zeitraum vom 01. Oktober bis 29. Februar 2008 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 225,55 €, zusammengesetzt aus 347,00 € monatliche Regelleistung abzüglich eines Betrages von 121,45 €. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein.
Mit dem am 27. Oktober 2007 bei dem Sozialgericht (SG) Neubrandenburg eingegangen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat der Antragsteller die Gewährung der Regelleistung in "voller Höhe" geltend gemacht. Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat vorgetragen, sie könne nicht erkennen, woraus sich ergeben solle, dass der Antragsteller kostenlos verpflegt werde. Die Antragsgegnerin verkenne, dass die Regelleistung grundsätzlich keine Individualleistung sei, folglich eine Kürzung ohnehin rechtswidrig wäre. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung solle eine Klärung im Hauptsacheverfahren erfolgen.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, der Antragsteller lebe in Haushaltsgemeinschaft mit seinem Sohn. Die durch den Sohn bereitgestellte Verpflegung sei mit einem Wert von 35 v. H. der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II (121,45 €) zu berücksichtigen. In diesem Wert sei der Bedarf des Hilfebedürftigen als gedeckt anzusehen. Im Übrigen sei die Angabe einer geringeren als der im § 20 SGB II genannten Regelleistung programmtechnisch nicht möglich gewesen; der Leistungsanspruch der sich durch die Absenkung der Regelleistung ergeben habe, habe nur durch die Eingabe von "sonstigem Einkommen" ausgewiesen werden können.
Durch Beschluss vom 19. November 2007 hat das SG Neubrandenburg den Antrag abgelehnt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Vorliegen eines Anordnungsanspruches könne letztlich dahinstehen. Der Antragsteller habe maximal einen Alg-II-Anspruch in Höhe der Regelleistung von 347,00 €; es bleibe einer Hauptsacheentscheidung vorbehalten, ob und in welcher Höhe der Bezug kostenfreier Verpflegung als Einkommen auf die Regelleistung anzurechnen sei. Bis zum Abschluss des Hauptsachverfahrens drohten dem Antragsteller keine Nachteile; die Anrechnung des kostenfreien Sachbezuges der V...