Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Bestattungskosten. Verpflichteter. Anspruchsberechtigung des Ehegatten aufgrund der Bestattungspflicht nach § 9 Abs 2 Nr 1 BestattG MV. Verweis auf die vorrangige Verpflichtung des Sohnes als Alleinerbe. Prüfung etwaiger Ausgleichsansprüche im Rahmen der Zumutbarkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anspruchsberechtigung nach § 74 SGB XII dem Grunde nach ist nicht bereits unter Verweis auf vorrangig Verpflichtete ausgeschlossen. Ob einem (nachrangig) Verpflichteten ein Anspruch zusteht oder er auf vorrangige Ansprüche verwiesen werden kann, ist eine Frage der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der "Zumutbarkeit".

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.12.2023; Aktenzeichen B 8 SO 20/22 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 29. März 2019 und der Bescheid vom 17. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2015 aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet der Klägerin Kosten aus der Rechnung des Bestattungshauses Hoffmann vom 23. Februar 2015 in Höhe von 1.068,30 € zzgl. Mahn- und Verzugskosten aus der Rechnung der neu.sw vom 18. Februar 2015 in Höhe von 271,52 € und für die Trauerrede in Höhe von 220,00 € zu erstatten.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Übernahme von Kosten für die Bestattung des Ehemannes der Klägerin.

Der Ehemann der am …1957 geborenen Klägerin verstarb am …2015. Die Eheleute lebten seit zwei Jahren getrennt. Zum Zeitpunkt des Todes bezogen sowohl die Klägerin als auch der Verstorbene Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Klägerin und ihre Tochter schlugen das Erbe aus.

Am 3. Februar 2015 beantragte die Klägerin in Begleitung ihrer Tochter bei dem Beklagten die Übernahme von Bestattungskosten nach § 74 SGB XII.

Der Sohn der Klägerin, A., nahm aus der Wohnung des Verstorbenen Gegenstände an sich, darunter einen Fernseher und eine Couch. In einem Telefonat vom 22. April 2015 der Klägerin mit der Sachbearbeiterin des Beklagten fragte diese, ob der Sohn im Falle der Nichtausschlagung des Erbes einen Antrag auf Kostenübernahme stellen könne. In diesem Gespräch wurde zunächst die Auskunft gegeben, eine Kostenübernahme komme dann nicht in Betracht. Im weiteren Fortgang händigte der Beklagte allerdings dem Herrn A. persönlich ein Hinweisschreiben vom 12. Mai 2015 nebst Antragsformularen aus. Letztlich wurde Herr A. Erbe des Verstorbenen gemäß Erbschein vom 16. März 2015.

Die Klägerin gab die Bestattung in Auftrag, die am 10. Februar 2015 stattfand. Hierfür stellte ihr das Bestattungshaus H. in A-Stadt mit Rechnung vom 23. Februar 2015 (zahlbar innerhalb 14 Tagen) insgesamt 1.511,45 Euro in Rechnung. Die Stadt A-Stadt setzte mit Gebührenbescheid vom 25. Februar 2015 Gebühren in Höhe von 720,25 Euro für ein Urnengemeinschaftsgrab, zahlbar bis zum 14. März 2015, in Rechnung. Für die Einäscherung forderte die M. mbH mit Rechnung vom 18. Februar 2015, zahlbar bis zum 4. März 2015, 271,52 Euro von der Klägerin. Für eine Trauerrede wurden durch die Firma K. mit Rechnung vom 15. Februar 2015 220,00 Euro in Rechnung gestellt.

Mit Rentenbescheid vom 6. März 2015 bewilligte die deutsche Rentenversicherung Nord der Klägerin eine große Witwenrente in Höhe von 237,44 Euro für die Zeit ab 1. Mai 2015 (Sterbevierteljahr vom 30.01.2015 bis 30. April 2015: eine Nachzahlung in Höhe von 1.212,69 Euro wurde vorläufig nicht ausgezahlt).

Mit Bescheid vom 17. April 2015 lehnte der Beklagte eine Kostenübernahme ab. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass der Sohn A. aufgrund der Annahme des Erbes gemäß § 1968 BGB zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet sei. Da sie kein Verpflichteter im Sinne des § 74 SGB XII sei, könnten für sie keine Kosten übernommen werden. Des Weiteren wies der Beklagte darauf hin, dass von insgesamt geltend gemachten Bestattungskosten in Höhe von 2.723,22 Euro nur 2.106,07 Euro angemessen seien. Abzusetzen wäre davon ein Betrag in Höhe von 50,00 Euro, da nach dem Tod noch vom Konto des Verstorbenen eine Verfügung in Höhe von 50,00 Euro vorgenommen worden sei.

Hiergegen erhob die Klägerin am 29. April 2015 Widerspruch. Zur Begründung wurde ausgeführt, sie sei grundsätzlich anspruchsberechtigt, da sie als Erstverpflichtete nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Bestattungsgesetz M-V für die Bestattungskosten in Anspruch genommen werde. Die Kostentragung sei ihr unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und der Fälligkeit der weiteren offenen Rechnungen nicht zuzumuten. Zwar sei der Sohn als Erbe verpflichtet, die Bestattungskosten zu tragen und Mittel aus dem Nachlass einzusetzen. Auch der Sohn könne jedoch die Bestattungskosten nicht aufbringen. Hier hätte die Widerspruchsführerin darauf hingewiesen werden müssen, dass auch der Sohn einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten stellen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2015 wies ...

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