Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. fristlose Kündigung eines Versorgungsvertrages. fehlerhafte Abrechnung
Leitsatz (amtlich)
Zur fristlosen Kündigung eines Versorgungsvertrages wegen erheblicher Pflichtverletzungen (fehlerhafte Abrechnung von Leistungen).
Normenkette
SGB XI § 74 Abs. 2-3, § 73 Abs. 2 S. 2
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 30. November 2016 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 879.100,38 € festgesetzt.
Gründe
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde ist nicht begründet.
Das Sozialgericht (SG) hat zu Recht die aufschiebende Wirkung der Klage (S 25 P 57/16) gegen den Bescheid der Antragsgegner vom 9. September 2016, mit dem diese den Versorgungsvertrag mit der Antragstellerin fristlos kündigten, nicht angeordnet. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass das einstweilige Rechtschutzbegehren der Antragstellerin als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 1. Alt. SGG statthaft ist. Nach dieser Regelung kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein solcher Fall liegt hier vor. Statthafte Klageart gegen eine Kündigung des Versorgungsvertrages ist die Anfechtungsklage gem. § 54 SGG (Prehn in: Berchthold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, § 115 SGB XI, Rn. 52). Es findet kein Vorverfahren statt und die Klage hat keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. §§ 74 Abs. 3 S. 2, 115 Abs. 2 S. 3, 73 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI]).
Der Antrag ist unbegründet. Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG ist, dass die Interessen des Einzelnen an der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse am Vollzug des Bescheides ausnahmsweise überwiegen. Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erfolgt damit auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwiegen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Dabei ist die Wertung der §§ 74, Abs. 3 S. 2, 73 Abs. 2 S. 2 SGB XI zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-/Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Kündigung bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere Interessen überwiegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b, Rn. 12c).
Der Antrag ist unbegründet. Es bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung vom 9. September 2016.
Die Kündigung ist zunächst formell rechtmäßig erfolgt; vor der Kündigung ist die Antragstellerin ordnungsgemäß angehört worden. Das Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger (Beigeladener) wurde hergestellt. Die Kündigung genügt auch der Schriftform (§ 74 Abs. 3 S. 1 SGB XI).
Auch die materiell-rechtlichen Anforderungen des § 74 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB XI sind erfüllt. Nach § 74 Abs. 1 S. 1 SGB XI kann der Versorgungsvertrag von jeder Vertragspartei mit einer Frist von einem Jahr gekündigt werden; von den Landesverbänden der Pflegekassen jedoch nur, wenn die zugelassene Pflegeeinrichtung nicht nur vorübergehend eine der Voraussetzungen des § 72 Abs. 3, S. 1 SGB XI nicht oder nicht mehr erfüllt. Nach § 74 Abs. 2 SGB XI kann der Versorgungsvertrag von den Landesverbänden der Pflegekassen auch ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn die Einrichtung ihre gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Pflegebedürftigen oder deren Kostenträgern derart gröblich verletzt, dass ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar ist. Dies gilt gem. § 74 Abs. 2 S. 2 SGB XI insbesondere dann, wenn Pflegebedürftige in Folge der Pflichtverletzung zu Schaden kommen oder die Einrichtung nicht erbrachte Leistungen gegenüber den Kostenträgern abrechnet.
Hier liegt ein derart gröbliches Fehlverhalten gegenüber den Kostenträgern vor, dass ein Festhalten an dem Versorgungsvertrag nicht zumutbar ist. Vorliegend liegt der als Regelbeispiel in § 74 Abs. 2 S. 3 SGB XI genannte einrichtungsbezogene Kündigungsgrund einer Falschabrechnung vor. Die gegen gesetzliche und vertragliche Regelung v...