Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Celle-Bremen vom 3.1.2017 - L 15 P 47/16 B ER, das vollständig dokumentiert ist.

 

Normenkette

SGB XI § 74 Abs. 2-3, § 73 Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 21. November 2016 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 796.938,36 € festgesetzt.

 

Gründe

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde ist nicht begründet.

Das Sozialgericht (SG) hat zu Recht die aufschiebende Wirkung der Klage (S 12 P 37/16) gegen den Bescheid der Antragsgegner zu 1. bis 6. vom 9. September 2016, mit dem diese den Versorgungsvertrag mit der Antragstellerin fristlos kündigten, nicht angeordnet. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass das einstweilige Rechtschutzbegehren der Antragstellerin als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 1. Alt. SGG statthaft ist. Nach dieser Regelung kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein solcher Fall liegt hier vor. Statthafte Klageart gegen eine Kündigung des Versorgungsvertrages ist die Anfechtungsklage gem. § 54 SGG (Prehn in: Berchthold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, § 115 SGB XI, Rn. 52). Es findet kein Vorverfahren statt und die Klage hat keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. §§ 74 Abs. 3 S. 2, 115 Abs. 2 S. 3, 73 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI]).

Der Antrag ist unbegründet. Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG ist, dass die Interessen des Einzelnen an der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse am Vollzug des Bescheides ausnahmsweise überwiegen. Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG erfolgt damit auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwiegen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Dabei ist die Wertung der §§ 74, Abs. 3 S. 2, 73 Abs. 2 S. 2 SGB XI zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-/Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Kündigung bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere Interessen überwiegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b, Rn. 12c).

Hinsichtlich des Antragsgegners zu 7. ist der Antrag bereits deshalb ohne Erfolg, da dieser nicht zu den Landesverbänden der Pflegekassen gehört, die nach den Vorgaben des § 74 SGB XI zur Kündigung von Versorgungsverträgen befugt sind. Zwar ist vor der Kündigung durch die Landesverbände der Pflegekassen gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 SGB XI das Einvernehmen mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe (vgl. § 72 Abs. 2 S. 1 SGB XI) herzustellen, wobei Einvernehmen im Sinne einer Zustimmung zu verstehen ist. Diese Regelung gilt nach § 74 Abs. 2 S. 4 SGB XI entsprechend auch für die außerordentliche Kündigung. Ein Verstoß gegen die gesetzliche Pflicht, das Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger herzustellen, begründet den Anspruch auf Aufhebung der Kündigung auch zu Gunsten der Pflegeeinrichtung (BSG, Urteil vom 12. Juni 2008 - B 3 P 2/07 R). Die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen einerseits und den zuständigen Sozialhilfeträger andererseits ist jedoch ein verwaltungsinterner Vorgang (vgl. BSG, Urteil vom 24. September 2002 - B 3 P 14/01 R; Kingreen in: Berchthold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, § 72 SGB XI, Rn. 7). Der Sozialhilfeträger wird nicht Vertragspartei und ist daher auch nicht selbstständig zur Kündigung berechtigt. Dementsprechend ist der Antragsgegner zu 7. im vorliegenden Verfahren nicht passivlegitimiert, sodass bereits aus diesem Grunde der Antrag ihm gegenüber ohne Erfolg bleibt.

Der Antrag ist auch hinsichtlich der Antragsgegner zu 1. bis 6. unbegründet. Es bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung vom 9. September 2016.

Die Kündigung ist zunächst formell rechtmäßig erfolgt; vor der Kündigung ist die Antragstellerin ordnungsgemäß angehört worden. Das Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger (Antragsgegner zu 7.) wurde hergestellt. Die Kündigung genügt auch der Schriftform (§ 74 Abs. 3 S. 1 SGB XI).

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