rechtskräftig
Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 07.08.2002; Aktenzeichen S 8 AL 419/00) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 7. August 2002 aufgehoben. Der Antrag auf Anordnung der Ersatzzwangshaft wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners (Ag) gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 7. August 2002, der das SG nicht abgeholfen hat, ist begründet. Der Antrag auf Anordnung einer Ersatzzwangshaft ist abzulehnen, der entgegenstehende Beschluss des SG aufzuheben.
Die Tatbestandsvoraussetzungen für die begehrte gerichtliche Entscheidung über die Anordnung der Ersatzzwangshaft gemäß § 16 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) liegen vor. Die Antragstellerin (Ast) hat nach Unanfechtbarkeit ihres Bescheides vom 22. Oktober 1998, mit dem der Ag erfolglos zur Ausstellung einer Verdienstbescheinigung für seinen ehemaligen Arbeitnehmer D. E. aufgefordert worden war, mit bindend gewordenem Bescheid vom 4. Dezember 1998 ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 DM festgesetzt (§§ 6, 9, 11 VwVG). Mit dem Bescheid wurde der Ag darauf hingewiesen, dass für den Fall einer erfolglosen Zwangsvollstreckung wegen des Zwangsgeldes Ersatzzwangshaft beantragt werde. Die Vollstreckung blieb erfolglos (Niederschrift des Vollziehungsbeamten über eine fruchtlose Pfändung vom 31. März 2000).
Für einen solchen Fall sieht § 16 VwVG vor, dass das "Verwaltungsgericht" auf Antrag der Vollzugsbehörde Ersatzzwangshaft anordnen kann. Verwaltungsgerichte iS dieser Vorschrift sind nicht nur die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern auch die der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit, wie beispielsweise die Sozialgerichte. Dabei richtet sich die Zuständigkeit nach dem Rechtsweg, der für Rechtsbehelfe gegen den Verwaltungsakt zulässig wäre, dessen Durchsetzung erzwungen werden soll (vgl auch § 18 Abs 1 Satz 1 VwVG).
Im vorliegenden Fall wären die Sozialgerichte für Verfahren im Zusammenhang mit dem Verlangen der Beklagten auf Erteilung einer Verdienstbescheinigung nach dem bis zum 31. Dezember 1998 geltenden § 141h Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz - AFG - (jetzt: § 314 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III)) zuständig. Der Senat lässt offen, ob es sich bei diesem Verlangen um einen Verwaltungsakt handelt (so Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, § 314 RdNr 12; wohl auch Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 314 RdNr 10 bzw § 316 RdNr 13 sowie Hess in GK-SGB III, § 314 RdNr 14; für den vergleichbaren Fall des § 116 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 17. Juni 1993 - 5 C 43/90 -, BVerwGE 92, 330). Dagegen könnte sprechen, dass sich die Verpflichtung zur Erstellung einer Verdienstbescheinigung ausdrücklich aus dem Gesetz ergibt und keiner Umsetzung im Sinne einer Regelung bedarf. Das Bescheinigungsverlangen kann die Ast nach Auffassung des Senats durch Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG gegenüber dem Ag geltend machen (so auch Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage, § 51 RdNr 39 "Auskunft"; wohl auch Estelmann in Hennig, SGB III, § 316 RdNr 37). Wenn sie dessen ungeachtet mit Hilfe eines Aufforderungsschreibens die begehrte Verdienstbescheinigung zu erlangen versucht, kann sich der Betroffene gegen ein solches Schreiben mit Widerspruch und ggf Klage wenden. Der Rechtsweg wäre dann der gleiche wie für die Leistungsklage der Ast.
Die beantragte Anordnung einer Ersatzzwangshaft nach § 16 Abs 1 VwVG kommt im vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht. Bei der auf Antrag der Ast zu ergehenden Entscheidung handelt es sich nicht um eine gebundene, sondern um eine Ermessensentscheidung (kann anordnen). Bei der Ermessensentscheidung hat das Gericht insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Zwangshaft um einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art 2 Abs 2 Grundgesetz (GG) gewährleistete Freiheit der Person handelt; sie muss das letzte Mittel sein, zu dem der Staat Zuflucht nimmt, um seine rechtmäßigen Anordnungen gegenüber widerspenstigen Bürgern durchzusetzen (BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1956, BVerwGE 4, 196). Erst wenn alle anderen weniger einschneidenden Möglichkeiten zur Durchsetzung des Begehrens erfolglos geblieben sind und immer noch ein öffentlich-rechtliches Interesse an dessen Erfüllung besteht, darf eine Zwangshaft angeordnet werden (vgl VG Berlin, Beschluss vom 8. Oktober 1998 - 10a 218/98 - NVWZ-RR 1999, 349 für den Fall einer möglichen Ersatzvornahme; zum Meinungsstand: Kopp, VwVG, § 16 Nr 3). Wenn das Gericht bei einer Ermessensabwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass Ersatzzwangshaft anzuordnen ist, ist wiederum nach freiem richterlichen Ermessen über die Dauer der Ersatzzwangshaft zu entscheiden, die gemäß § 16 Abs 2 VwVG zwischen 1 Tag und 2 Wochen beträgt.
Unter Berücksichtigung diese...