Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Asylbewerberleistung. Grundleistung. Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG. Verfassungsmäßigkeit. unabweisbar gebotene Leistung. Einzelfallprüfung. unterbliebene oder mangelhafte behördliche Sachverhaltsermittlung. Verpflichtung zur Erbringung ungekürzter Leistungen
Orientierungssatz
1. Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest, dass zumindest § 1a Nr 2 AsylbLG nicht verfassungswidrig und auch unter Berücksichtigung des Urteils des BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 weiter anzuwenden ist (Festhaltung an LSG Celle-Bremen vom 20.3.2013 - L 8 AY 59/12 B ER = ZfF 2013, 181).
2. Eine Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG setzt voraus, dass die zuständige Leistungsbehörde im konkreten Einzelfall den Sachverhalt ermittelt und in diese Einzelfallprüfung mit einbezieht, ob die gewährte Leistung zu kürzen ist, auf welche Art und Weise (Geld- oder Sachleistung) sie zu erbringen ist und in welchem Umfang und für welche Dauer.
3. Bei dieser Einzelfallprüfung sind allein die konkreten Bedarfe der leistungsberechtigten Person an existenzsichernden Leistungen maßgeblich, nicht jedoch die Art und Schwere der Verstöße im ausländerrechtlichen Verfahren, weil diese keinen Einfluss auf die im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistungen haben.
4. Unterbleibt eine solche Prüfung durch die zuständige Leistungsbehörde oder beruht sie auf abstrakt-generellen Erwägungen ohne Bezug auf den konkreten Einzelfall, sind die Gerichte - jedenfalls in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - nicht gehalten, die erforderliche Sachverhaltsermittlung zur Höhe der Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG nachzuholen.
5. Gleiches gilt in denjenigen Fällen, in denen eine Leistungskürzung vorwiegend auf sachfremde Erwägungen, etwa unter Berücksichtigung des Verhaltens der leistungsberechtigten Person im ausländerrechtlichen Verfahren, gestützt wird.
6. In diesen Fällen ist der zuständige Leistungsträger - jedenfalls in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - zu verpflichten, existenzsichernde Leistungen nach § 3 AsylbLG in ungekürzter Höhe zu erbringen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 10. Mai 2013 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zu 1, 2, 4 und 5 für die Zeit ab 6. März 2013 bis zu der Entscheidung in dem Widerspruchsverfahren betreffend die Leistungsbewilligung nach § 1a AsylbLG für die Zeit ab Dezember 2012, längstens jedoch bis zum 31. Juli 2014, und dem Antragsteller zu 3 für die Zeit ab 6. März 2013 bis zum 31. August 2013 ungekürzte Leistungen gemäß § 3 AsylbLG nach der Übergangsregelung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (- 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -) zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.
Gründe
I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) und der Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsgegner) streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Rechtmäßigkeit einer Leistungskürzung nach § 1a Nr. 1 AsylbLG für den Zeitraum ab März 2013.
Die 1965 und 1966 geborenen, miteinander verheirateten Antragsteller zu 1 und 2 sind die Eltern der 1995, 2000 und 2005 geborenen Antragsteller zu 3 bis 5. Sie sind serbische Staatsangehörige, zugehörig zur Volksgruppe der Roma, und hielten sich bereits von 1989 bis 2003 in Deutschland auf. Im Oktober 2011 reisten die Antragsteller zu 2 bis 5 ohne eigene Mittel zur Sicherung ihres Lebensunterhalts per LKW erneut in das Bundesgebiet ein. Bei der Vorsprache beim Antragsgegner gab die Antragstellerin zu 2 an, zur medizinischen Behandlung ihrer Erkrankung - nach dem Inhalt der Ausländerakten betreffend den Antragsteller zu 1 leidet sie an schweren Depressionen und einer organischen Psychose - nach Deutschland gekommen zu sein. Der Antragsteller zu 1 folgte ihnen im November 2011. Die Antragsteller verfügen nach Ablehnung ihrer Asyl- und Asylfolgeanträge im November 2011 und Februar 2012 (Klageverfahren beim Verwaltungsgericht Göttingen - soweit ersichtlich - noch anhängig) über Duldungen und beziehen von dem Antragsgegner seit ihrer erneuten Einreise Leistungen nach dem AsylbLG.
Sie lebten bis Ende November 2013 in einer ca. 90 qm großen Wohnung in I., für die sie seit Mai 2013 eine Grundmiete von 500,00 €, Nebenkosten von 220,00 € und Kosten für Heizung von 110,00 € entrichten mussten. Eine Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung erfolgte vom Antragsgegner nur in der Höhe der von ihm als angemessen angesehenen Bruttokaltmiete von 600,00 € und Heizkosten von 110,00 €. Seit Dezember 2013 bewohnen die Antragsteller eine neue Unterkunft ebenfalls in I., deren Kosten (428,98 € Grundmiete, 137,50 € Nebenkosten und 85,00 € Heizkosten) bei der Leistungsb...