Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. Gleichbehandlungsgebot. Folgenabwägung
Leitsatz (amtlich)
Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 4 der EGV 883/2004 bestehen gravierende Bedenken gegen die Europarechtskonformität des in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 vorgesehenen Leistungsausschlusses für arbeitsuchende Unionsbürger. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist daher aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 2. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 2. Mai 2011, mit dem er verpflichtet worden ist, den Antragsstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu gewähren.
Die K. geborene Antragstellerin zu 1., ihr L. geborener Partner (Antragsteller zu 2.) und ihr M. geborener Sohn (Antragsteller zu 3.) sind N. Staatsangehörige. Der Zeitpunkt ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland lässt sich den vorliegenden Akten nicht entnehmen. In ihrer im Rahmen des vorliegenden Verfahrens vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 5. April 2011 hat die Antragstellerin zu 1. angegeben, sie halte sich seit 2007 "im Rahmen der mir erteilten Freizügigkeit angemeldet in O. auf". Die für sie ausgestellte Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) der Ausländerbehörde O. vom 20. Februar 2009 weist als Zeitpunkt der Anmeldung den 21. August 2007 aus. Mit Datum vom 20. Juni 2009 wurde der Antragstellerin zu 1. eine unbefristete Arbeitsberechtigung-EU erteilt. In der für den Antragsteller zu 2. ausgestellten Freizügigkeitsbescheinigung vom 20. Oktober 2009 wird als Zeitpunkt der Anmeldung der 1. November 2008 angegeben.
Die Antragstellerin zu 1. war seit dem 24. Juni 2008 zunächst im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses bei der P. als Reinigungskraft tätig (tägliche Arbeitszeit lt. Arbeitsvertrag 1,25 Stunden bei einem Stundenlohn von 8,15 € brutto). Seitdem 1. Juli 2009 war sie bei dieser Firma versicherungspflichtig beschäftigt. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2009 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeitsstelle seit dem 14. Oktober 2009 mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgerecht zum 30. Oktober 2009. Kündigungsschutzklage hat die Antragstellerin zu 1. hiergegen nicht erhoben.
Soweit aus der Verwaltungsakte ersichtlich, bezogen die Antragsteller zumindest seit Juli 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Den Folgeantrag vom 22. November 2010 für den Bewilligungszeitraum ab dem 1. Januar 2011 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 25. November 2010 unter Hinweis auf den in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II normierten Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger ab. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10. Dezember 2010 legten die Antragsteller gegen den "Bescheid vom 9. November 2010" - unter diesem Datum hatte der Antragsgegner den Antragsteller zu 2) zur Vorlage seines aktuellen Aufenthaltstitels aufgefordert - Widerspruch ein. Der Antragsgegner bezog diesen Widerspruch auf seinen Ablehnungsbescheid vom 25. November 2010 und wies diesen - während des laufenden Eilverfahrens - mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2011 als unbegründet zurück. Hiergegen haben die Antragssteller - wie sie auf Anfrage des Berichterstatters mitgeteilt haben - keine Klage erhoben.
Nachdem die Antragstellerin zu 1) im Januar 2011 bei dem Antragsgegner wegen der Einstellung der Leistungen mehrfach persönlich vorgesprochen hatte (Aktenvermerke vom 22. und 27. Januar 2011, Bl. 202/203 VA), stellten die Antragsteller mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 5. April 2011 einen Überprüfungsantrag. Mit Schriftsatz vom selben Tag, eingegangen bei dem SG Bremen am 7. April 2011, haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin zu 1. vom 5. April 2011 geltend gemacht, dass die Leistungen zu Unrecht abgelehnt worden seien. Da die Antragstellerin zu 1. über zwei Jahre in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet habe und ihren Arbeitsplatz unverschuldet verloren habe, bestehe ihr Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmerin weiter mit der Folge, dass sie nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfalle. Mittlerweile hätten sie - die Antragsteller - einen erneuten Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner g...