Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Streitgegenstand. Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Geltendmachung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. keine Beschränkung des Streitgegenstandes. Höhenstreit. Prüfung auch einer abweichenden Festlegung des individuellen Bedarfs nach § 27a Abs 4 S 1 SGB 12

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändigerer Ernährung handelt es sich um einen Antrag auf (höhere) Leistungen, über den die Verwaltung nicht isoliert, also unabhängig von der Prüfung, ob laufende lebensunterhaltssichernde Sozialhilfeleistungen zu bewilligen sind, entscheiden kann. Zu prüfen sind alle Anspruchsvoraussetzungen über Grund und Höhe der Leistungen (sog Höhenstreit, Anschluss an BSG vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R = FEVS 63, 294 = juris RdNr 13).

2. In die Prüfung des gesamten Anspruchs ist bei der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 SGB 12 (auch) eine Festlegung des individuellen - höheren - Bedarfs nach § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 einzubeziehen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 26. Februar 2014 aufgehoben.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Hoppe, Bremen, ohne Ratenzahlung bewilligt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) am 18. März 2014 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, Klägers und Beschwerdeführers (im Folgenden Kläger) gegen den Prozesskostenhilfe (PKH) versagenden Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 26. Februar 2014 ist statthaft und begründet.

Die Beschwerde ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 b) SGG in der ab dem 25. Oktober 2013 geltenden Fassung (BGBl. I S. 3836, 3847) ausgeschlossen, weil in der Hauptsache die Berufung nicht der Zulassung bedarf. Der streitige Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII bzw. eine individuelle Erhöhung des Regelbedarfs nach § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII wird vom Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abse. 1 und 4 SGG) in zeitlicher Hinsicht bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz verfolgt. Dies hat er im Beschwerdeverfahren ausdrücklich klargestellt und sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Gegenstand der Klage bei einer zukunftsoffenen Ablehnung von Leistungen gestützt (vgl. etwa BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 12/06 R - Rn. 8 m.w.N.). Dass diese Rechtsprechung bei dem hier vorliegenden Höhenstreit nicht einschlägig ist und sich der Gegenstand der Klage allein auf den Zeitraum von Juli 2011 bis März 2012 erstreckt (s. hierzu gleich), ändert in diesem Einzelfall nichts daran, dass für die Bemessung des Beschwerdewerts grundsätzlich der Klageantrag maßgeblich ist und der Rechtsstreit damit wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, ohne dass die Berufung der Zulassung bedürfte (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Ein Fall rechtsmissbräuchlicher Antragstellung zur Erreichung des Werts des Beschwerdegegenstands nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG von über 750,00 € (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 25. September 2008 - L 8 SO 155/06 - juris Rn. 19; vgl. auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 144 Rn. 14a m.w.N.) liegt nicht vor. Nach dem bisherigen Verlauf des Klageverfahrens gehen auch die Beklagte und das SG davon aus, dass der Streitgegenstand eine zukunftsoffene Ablehnung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung betrifft.

Die Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Gewährung von PKH zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Nach diesen Maßgaben weist die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers nach Auffassung des Senats hinreichende Erfolgsaussichten auf, weil zur Beantwortung der Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII zusteht, eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht erforderlich ist.

Gegenstand des Rechtstreits (§ 95 SGG) ist der Leistungsbescheid der Beklagten vom 23. August 2011, der Ablehnungsbescheid vom 28. Oktober 2011, die ohne schriftlichen Bescheid ergangenen Leistungsentscheidungen für die Zeit von Oktober bis Dezember 2011 und Februar bis März 2012 sowie der Leistungsbescheid vom 17. Januar 2012 für den Monat Januar 2012, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2012.

Nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB analog) ist der Antrag des Klägers vom 23. September 2011 auf Gewährung eines Mehrbedar...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?