Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Wohnflächengrenze für Alleinerziehende mit einem Kind in Niedersachsen. Fehlen eines schlüssigen Konzepts. Anwendung der Wohngeldtabelle. Sicherheitszuschlag
Leitsatz (amtlich)
1. Die in den Niedersächsischen Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2003 - vorgesehene Erhöhung der angemessenen Wohnfläche für Alleinerziehende ist bei der Feststellung der angemessene Wohnfläche iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigen. Dies erfolgt, soweit in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Ermangelung einer anderweitigen Datengrundlage auf die Tabelle zu § 12 WoGG abzustellen ist, durch die Hinzurechnung eines fiktiven Haushaltsmitglieds.
2. Die Tabellenwerte zu § 12 WoGG sind um einen Sicherheitszuschlag von 10% zu erhöhen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 10. Mai 2011 dahingehend geändert, dass die von dem Antragsgegner an die Antragstellerin zu 1. vorläufig zu erbringenden Leistungen auf 705,68 EURO monatlich festgesetzt werden.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragsstellerinnen die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu 3/4 zu erstatten.
In Ergänzung zu dem Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 wird auch der Antragstellerin zu 2) für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt I. in J. bewilligt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Lüneburg vom 10. Mai 2011, mit dem er im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, den Antragstellerinnen vorläufig höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu gewähren.
Die am 18. Februar 1986 geborene Antragsstellerin zu 1. ist - wie im Beschwerdeverfahren nunmehr unstreitig ist - alleinerziehend. Sie bewohnt mit ihrer am 28. September 2008 geborenen Tochter (Antragstellerin zu 2.) eine 60 qm große Drei-Zimmer-Wohnung in der K. in J., für die sie seit dem 1. Februar 2011 eine Grundmiete in Höhe von 346,53 EURO sowie Vorauszahlungen für die Betriebskosten in Höhe von 105,81 EURO und für die Heizkosten in Höhe von 116,40 EURO (insgesamt 568,74 EURO monatlich) zu entrichten hat. Die Antragsstellerin zu 1. bezieht für die Antragstellerin zu 2. Kindergeld in Höhe von 184,- EURO monatlich, ferner bezieht die Antragstellerin zu 2. Unterhalt in Höhe von 225,- EURO monatlich sowie Wohngeld in Höhe von 182,- EURO monatlich. Nach durchgeführten Ermittlungen (Außendienstbericht vom 2. September 2010) ging der Antragsgegner davon aus, dass in der Wohnung der Antragsstellerin zu 1. auch der Vater ihres Kindes, Herr L., wohne und sie mit diesem als Partner zusammenlebe. Der Antragsgegner gewährte den Antragsstellerinnen daraufhin ab dem 1. Januar 2011 nur noch Leistungen unter Berücksichtigung eines fiktiven Einkommens des Herrn M..
Mit dem im Hauptsacheverfahren (Az: S 27 AS 383/11 des SG Lüneburg) angefochtenen Bescheid vom 11. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2011 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft für den Bewilligungszeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2011 monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 377,73 EURO.
Am 4. April 2011 haben die Antragsstellerinnen bei dem SG Lüneburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden sollte, ihnen vorläufig monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 919,34 EURO (Bezifferung im Schriftsatz vom 2. Mai 2011) zu gewähren. Nach Beweisaufnahme hat das SG den Antragsgegner mit dem angefochtenen Beschluss vom 10. Mai 2011 verpflichtet, den Antragsstellerinnen vorläufig ab dem 4. April 2011, längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten, "Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe, einschließlich eines Mehrbedarfs der Antragsstellerin zu 1. für Alleinerziehende und ohne die Berücksichtigung des Einkommens des Herrn L., zu gewähren, d. h. Leistungen in Gesamthöhe von 875,94 EURO monatlich". Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme liege eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft zwischen der Antragsstellerin zu 1. und Herrn L. nicht vor. Bei der Berechnung der Leistungen sei für die Antragsstellerin zu 1. ein Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von 131,04 EURO zu berücksichtigen. Die Bruttokaltmiete von 452,34 EURO sei als angemessen anzusehen. In Ermangelung anderweitiger Datengrundlagen sei insoweit auf die Werte zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zurückzugreifen. Danach ergebe sich für einen Zwei-Personen-Haushalt in der für J. maßgeblichen Mietenstufe IV ein Miethöchstbetrag von 435,- EURO. Dieser Wert sei allerdings unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) um einen Sicherheitszuschlag von 10 Prozent zu erhöhen (Hinweis auf das Urteil vom 17. D...