Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Sozialhilfe. Kostenübernahme für Schulwegbegleitung
Orientierungssatz
1. Die Eröffnung des Anwendungsbereiches des § 14 SGB IX hat nicht "automatisch" die Leistungspflicht des - hier - zweitangegangenen Leistungsträgers zur Folge hat, sondern nur dann, wenn eine materielle Rechtspflicht zur Leistung irgendeines Trägers von Leistungen zur Rehabilitation gegeben ist.
2. Ist die Schülerbeförderung als solche allein auf den (fahrtechnischen) Transport beschränkt, ist eine Schulwegbegleitung als Leistung der Eingliederungshilfe ausreichend, aber auch erforderlich.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 11. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Ast) begehrt die Kostentragung für eine Schulbegleitung während der Fahrten von seiner Wohnstätte zur Schule und zurück (Schulwegbegleitung).
Der Ast ist im Jahr 1998 geboren und bei der Antragsgegnerin (AGin) gesetzlich krankenversichert (Familienversicherung). Er ist seit seiner Geburt schwerbehindert und leidet u.a. an einer schweren kombinierten Entwicklungsstörung, einer zerebralen Bewegungsstörung, ausgeprägten Spastiken mit einer begleitenden schweren Schluckstörung sowie einer symptomatischen Epilepsie mit regelmäßig auftretenden Grand-mal-Anfällen. Dem Ast sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, H, RF und aG zuerkannt. Er erhält von der Pflegekasse Leistungen nach der Pflegestufe 3 (alte Rechtslage).
Von dem Landkreis J. (Beigeladener zu 1) erhält der ASt Eingliederungshilfe iSe Schulbegleitung durch eine Integrationshelferin. Die Integrationshelferin ist pädagogische Mitarbeiterin und verfügt über keine medizinische Ausbildung. Sie begleitete den ASt während seines Aufenthaltes in der Schule.
Der ASt wohnte bis zum 31. Juli 2016 im Haus seiner Eltern in K., das ca. 1 km entfernt lag von der von ihm besuchten Schule, der L. Schule, ebenfalls in K.. Die Integrationskraft holte den ASt in dieser Zeit vor Schulbeginn von der Wohnung ab und brachte ihn nach Schulende dorthin zurück.
Seit dem 01.08.2016 wird der Antragsteller in der Wohnstätte M. in N. stationär betreut, die ca. 30 km von der Schule des ASt entfernt liegt. Es handelt sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, die Kosten der Betreuung werden von dem Beigeladenen zu 1) als Träger der örtlichen Sozialhilfe getragen. Die Betreuung erfolgt durch Heilerziehungshelfer ohne medizinische Ausbildung.
Die Kosten des Schultransports des ASt für die etwa 30 km lange Strecke werden vom Landkreis O. (Beigeladener zu 2) aus Mitteln der Schülerbeförderung gezahlt (Taxikosten).
Am 27.05.2016 beantragte die Mutter des ASt, die gleichzeitig seine Betreuerin und Prozessbevollmächtigte (Rechtsanwältin) ist, bei dem Beigeladenen zu 1), nicht bei der AGin, die Bewilligung iSd “Fortsetzung„ der Schulbegleitung durch die Integrationshelferin auch für den nunmehr anfallenden längeren Schulweg von der Wohnstätte zur Schule und zurück. Zur Begründung wies die Betreuerin darauf hin, dass die Begleitung wegen der auftretenden Grand-mal-Anfälle notwendig sei.
Der Beigeladene zu 1) bewertete das Begehren als Antrag nach § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (IX) und leitete den Antrag am 1.6.2016, Eingang am 9.6.2016, mit der Begründung an die AGin weiter, dass beim Auftreten von Grand-mal-Anfällen die medizinisch notwendigen Schritte von einer entsprechend qualifizierten Fachkraft ergriffen werden müssten. Zuständig sei deshalb die gesetzliche Krankenkasse (KK).
Die AGin erließ den Bescheid vom 13. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2016, mit dem sie eine Schulwegbegleitung zunächst mit der Begründung ablehnte, dass die Voraussetzungen des insoweit einschlägigen § 60 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt seien.
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte am 1. September 2016 bei dem Sozialgericht (SG) Aurich zum einen Klage in der Hauptsache erhoben (S 8 KR 194/16) und zum zweiten den hier in Rede stehenden Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat sie vor allem geltend gemacht, dass der ASt während seiner gesamten bisherigen Schulzeit bei den Fahrten zur Schule begleitet worden sei. Die Situation habe sich nicht geändert. Der ASt leide unter regelmäßig auftretenden epileptischen Grand-mal-Anfällen von bis zu ca. zweimal in der Woche sowie zudem unter weiteren kleineren Anfällen. Die Begleitperson entscheide im Bedarfsfall, ob ein Notfall-Medikament trotz der damit verbundenen Nebenwirkungen zu verabreichen sei. Je nach Schwere des Anfalls müsse die Begleitperson auch das vom ASt getragene Korsett öffnen, um die Atmung zu erleichtern. Schließlich habe die Integrationskraft darauf zu achten, dass der ASt sich bei einem Anfall nicht verletze. Am 28. Oktober 2016 sei die Schu...