Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat des Kindes. Höchstfrist. Partnermonate. Reduzierung der Arbeitszeit. Einkommensverlust. Mutterschaftsgeld. Partizipationsgebot. Persönliche Erziehung und Betreuung des Kindes. Gefährdung des Kindeswohls. Schutz von Ehe und Familie. Entscheidungsfreiheit der Eltern. Innerfamiliäre Aufgabenverteilung. Gleichberechtigung. Verhältnismäßigkeit. Gleichbehandlung. Berufsfreiheit
Orientierungssatz
Der Staat missachtet die ihm durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG auferlegte Verpflichtung, die Familien-gemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren, wenn er (bezogen auf den Regelfall) einen Anspruch auf Elterngeld für den 13. und 14. Bezugsmonat von einer spezifischen Ausgestaltung der innerfamiliären Aufgabenverteilung im Sinne der Inan-spruchnahme sog. Partner- bzw. Partnerinnenmonate abhängig macht.
Art. 3 Abs 2 Satz 2 GG vermag den durch § 4 Abs 3 Satz 1 BEEG bewirkten Eingriff in die grund-rechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit der Eltern schon deshalb nicht zu legitimieren, weil keine Kongruenz zwischen der Ausgestaltung der Leistungsvoraussetzungen und einer Beseitigung geschlechtsspezifischer Nachteile gewährleistet ist.
Normenkette
BEEG §§ 1-2, 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1-3; BGB § 1666; SGB VI § 56; GG Art. 3 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 1-2, Art. 12 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem BVerfG wird gem. Art 100 Abs 1 des Grundgesetzes folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Verstößt § 4 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG - vom 5. Dezember 2006, BGBl. I, 2748) gegen die Grundrechte der Eltern aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Grundgesetz, soweit diese Vorschrift ihnen eine Ausschöpfung des vierzehnmonatigen Gesamtbezugszeitraums durch nur einen Elternteil verwehrt?
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat ihres am 4. Juli 2007 in der 27. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 960 Gramm geborenen Sohnes H..
Die Klägerin lebte mit dem Vater des Kindes vor und nach der Geburt des Kindes in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in einer Wohnung in Niedersachsen. Sie war bis zu der Geburt ihres Kindes erwerbstätig. Nach der Geburt hat sie Elternzeit genommen und war in den ersten 18 Lebensmonaten des Kindes gar nicht und in den nachfolgenden 18 Monaten nur einen Tag in der Woche erwerbstätig. Der Vater des Kindes war vor und nach der Geburt vollzeitig berufstätig. Die Eltern haben im September 2008 geheiratet.
Mit Bescheid vom 29. Oktober 2007 gewährte ihr der Beklagte Elterngeld entsprechend ihrem damaligen Antrag für die ersten zwölf Lebensmonate von H. in Höhe des nach den gesetzlichen Vorgaben höchstens in Betracht kommenden Betrages von monatlich 1.800 €, wobei für die ersten Monate das Elterngeld angesichts des von der Klägerin bezogenen Mutterschaftsgeldes einschließlich des Arbeitgeberzuschusses nicht zur Auszahlung gelangte.
Mit Schreiben vom 12. März 2008 teilte die Klägerin mit: Ihr Sohn habe bedingt durch die Frühgeburt die ersten drei Lebensmonate im Krankenhaus verbringen müsse. Er benötige weiterhin eine intensive Betreuung und spezielle therapeutische Unterstützung. Der Kinderarzt empfehle, bei dieser Ausgangssituation von einem Wechsel in der Hauptbezugsperson abzusehen. Deshalb habe sie sich mit dem Vater darauf verständig, dass dieser nicht, wie anfangs vorgesehen, Elternzeit für den 13. und 14. Lebensmonat nehmen werde, sondern dass sie weiterhin als Hauptbezugsperson für das Kind zur Verfügung stehen werde. Sie beantrage daher, ihr auch für den 13. und 14. Lebensmonat Elterngeld zu gewähren.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19. März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2008 ab. Nach den gesetzlichen Regelungen könne jeder Elternteil nur für höchstens zwölf Monate Elterngeld beanspruchen. Diese Höchstfrist habe die Klägerin bereits dadurch ausgeschöpft, dass sie in den ersten zwölf Lebensmonaten ihres Kindes Elterngeld bezogen habe. Der Bezugszeitraum des Mutterschaftsgeldes sei auf den Bezugszeitraum des Elterngeldes anzurechnen. Im vorliegenden Fall greife auch keiner der gesetzlichen Sondertatbestände ein, in denen ein Elternteil ausnahmsweise für 14 Monate Elterngeld beziehen könne. Dementsprechend hätte zwar der Vater im 13. und 14. Lebensmonat des Kindes, nicht aber die Klägerin als seine Mutter Elterngeld beziehen können.
Mit der am 8. Juli 2008 erhobenen Klage haben die Klägerin und der Vater hervorgehoben, dass es für die Entwicklung von H. insbesondere unter Berücksichtigung seiner durch die Frühgeburt bedingten Wahrnehmungsstörungen die beste Lösung gewesen sei, dass sie kontinuierlich als Hautbezugsperson zur Verfügung gestanden habe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich ein Familienleben im eigentlichen Sinne erst ...