Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Fortwirkung der Arbeitnehmereigenschaft. unfreiwillige Arbeitslosigkeit wegen Schwangerschaft. Europäisches Fürsorgeabkommen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Tätigkeit von mehr als einem Jahr iS des § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) liegt dann nicht vor, wenn zwischen den Beschäftigungsverhältnissen Unterbrechungen von mehreren Monaten liegen.
2. Die Rechtsprechung des BSG zu Leistungsansprüchen arbeitsuchender EU-Bürger aus EFA-Signaturstaaten kann auf die Rechtslage seit dem 29.12.2016 nicht übertragen werden.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Februar 2019 (einstweiliger Rechtsschutz) wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 26. Februar 2019 ist nicht begründet.
Das SG hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu verpflichten, den Antragstellerinnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass die Antragstellerinnen den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung u. a. erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben, da sie dem in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2b SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155) normierten Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Bürger und ihre Familienangehörigen unterliegen. Insbesondere hat das SG ein Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin zu 1) als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) zu Recht verneint. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verweist der Senat auf die in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Beschluss vom 26. Februar 2019 (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).
Mit Blick auf das Beschwerdevorbringen ist das Folgende zu ergänzen:
Soweit “nicht zuletzt wegen der Schwangerschaft der Antragstellerin zu 1)„ bestritten wird, dass diese und ihre 2014 geborene Tochter, die Antragstellerin zu 2), sich allein zum Zweck der Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland befinden, ist bereits nicht ersichtlich, welcher konkrete Aufenthaltszweck damit geltend gemacht werden soll. Jedenfalls ist der gesetzliche Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Bürger nicht bereits dann unanwendbar, wenn diese sich neben der Arbeitsuche auch aus anderen Gründen im Bundesgebiet aufhalten. Erforderlich ist vielmehr nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, zuletzt: Urteil vom 9. August 2018 - B 14 AS 32/17 R - juris Rn. 19 m w. N.) eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU - die bis zur Verlustfeststellung seitens der Ausländerbehörde bestehende generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Bürger reicht entgegen dem erstinstanzlichen Vorbringen der Antragstellerinnen nicht aus - oder ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Soweit in der Beschwerdebegründung die Auffassung vertreten sind, diese Rechtsprechung sei “grundfalsch„, da EU-Bürger niemals einen Aufenthaltstitel nach dem AufenthG erhalten könnten, entbehrt diese Bewertung jeder sachlichen Grundlage. Die Lektüre der einschlägigen Entscheidungen des BSG ergibt, dass nicht ein Anspruch auf Erteilung eines - für EU-Bürger nicht erforderlichen - Aufenthaltstitels nach dem AufenthG zu prüfen ist, sondern es um eine fiktive Prüfung geht, ob ein Aufenthaltsrecht des betreffenden EU-Bürgers allein zum Zweck der Arbeitsuche besteht (bzw. überhaupt kein Aufenthaltsrecht vorliegt) oder daneben auch andere Aufenthaltszwecke den Aufenthalt des EU-Bürgers im Bundesgebiet rechtfertigen können. Hierzu gehört auch ein Günstigkeitsvergleich auf der Grundlage von § 11 Abs. 1 S. 5 FreizügG/EU a. F. (jetzt: § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU) unter Heranziehung der Regelungen des AufenthG (vgl. nur BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris Rn. 26 f., 32).
Ein anderes Aufenthaltsrecht als dasjenige zum Zweck der Arbeitsuche lässt sich nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht feststellen. Die Antragstellerin zu 1) ist nicht als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Nach dem Inhalt der beigezogenen Leistungsakte des Antragsgegners und dem eigenen Vortrag sind die Antragstellerinnen, die italienische Staatsbürgerinnen sind, im Juni 2016 in ...