Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Erwerbsfähigkeit von Ausländern mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang. Leistungsausschluss von Ausländern der neuen EU-Mitgliedstaaten bei Aufenthalt allein zum Zweck der Arbeitssuche
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Annahme von Erwerbsfähigkeit bei Ausländern mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang genügt die gesetzgeberisch eingeräumte abstrakt-generelle Möglichkeit der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nicht. Vielmehr muss Aussicht auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis bestehen. Denn wenn keine realistische Chance auf Genehmigung einer Beschäftigung besteht, kann das Ziel einer Integration in den Arbeitsmarkt nicht erreicht werden. Mit Erteilung einer Arbeitserlaubnis-EU ist grundsätzlich Erwerbsfähigkeit gegeben.
2. Von den Leistungen des SGB 2 ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Leistungsausschluss greift nicht, wenn neben der Arbeitssuche ein anderer Aufenthaltszweck vorliegt.
Tenor
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C., D., beigeordnet; Raten sind nicht zu zahlen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 1.Juni 2006 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren verpflichtet, dieser vom 9. Mai 2006 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 31.Oktober 2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu erbringen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Die 1977 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige, verheiratet und Mutter einer im Februar 2004 geborenen Tochter. Am 10. Oktober 2005 meldete sie sich mit ihrer Tochter beim Landkreis E. an; bereits am 22. September 2005 hatte sich ihr Ehemann angemeldet (Bescheinigungen vom 6. Dezember 2005). Am 2. Februar 2006 beantragte die Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende -. In dem Antrag ist festgehalten, dass die Antragstellerin bis zum 31. Januar 2006 Einkommen erzielte. Des Weiteren hat diese angegeben, ihr Ehemann nehme aus selbstständiger Tätigkeit seit 1. Februar 2006 nur noch 400 € monatlich ein, da Aufträge weggefallen seien. Der Ehemann der Antragstellerin hatte am 26. September 2005 ein Gewerbe (Versicherungen, Vermittlung von Bausparverträgen, Trockenbau und Verkauf von Baumaterialien) angemeldet. Nachdem die Antragsgegnerin von der Ausländerbehörde des Landkreises E. die Auskunft erhalten hatte, die Aufenthaltsgenehmigung für die Familie der Antragstellerin sei aufgrund der Selbstständigkeit erteilt worden und sie werde widerrufen, da der Lebensunterhalt nicht sichergestellt werden könne (Vermerk vom 15. Februar 2006), lehnte sie Leistungen ab (Bescheid vom 16. Februar 2006). Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch mit dem Hinweis, dass sie als Bürgerin der Europäischen Union (EU) Freizügigkeit genieße. Die Antragsgegnerin hielt an ihrer Entscheidung mit der Begründung fest, dass Leistungen nur Personen erhielten, die erwerbsfähig seien. Erwerbsfähig könnten Ausländer nur dann sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sei oder erlaubt werden könne. Als polnische Staatsangehörige benötige die Antragstellerin eine Arbeitserlaubnis oder eine Arbeitsberechtigung. Diese lägen nicht vor. Aus wirtschaftspolitischen Gründen sei auch nicht davon auszugehen, dass diese erteilt würden (Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2006).
Dagegen hat die Klägerin am 1. März 2006 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben und am 9. Mai 2006 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung beantragt, dass mittlerweile die finanziellen Rücklagen aufgebraucht seien. Das SG hat diesen Antrag - gestützt auf die Einschätzung der Antragsgegnerin, eine Arbeitsgenehmigung werde aus wirtschaftspolitischen Gründen nicht erteilt - abgelehnt. Der noch im selben Monat eingelegten Beschwerde hat es nicht abgeholfen und diese dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.
Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren die ihr von der Antragsgegnerin erteilte Arbeitserlaubnis-EU für eine Beschäftigung als Haushaltshilfe vom 19. Juli 2006 bis 18. Januar 2007 vorgelegt, die zeige, dass grundsätzlich die Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung mit der Folge eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bestehe. Des Weiteren hat sie vorgetragen, dass es wegen der von der Antragsgegnerin aufgestellten Wartefrist von vier Wochen zwischen dem Antrag auf Arbeitsgenehmigung und dem Arbeitsantritt nicht zu diesem gekommen sei, da der potentielle Arbeitgeber a...