Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. abweichende Erbringung von Regelleistungen als Darlehen. unabweisbarer Bedarf. Kinderwagen für Neugeborenes. Abgrenzung zu Sonderbedarfen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Kinderwagen ist ein von der Regelleistung des SGB 2 erfasster Bedarf des Neugeborenen und als unabweisbarer Bedarf - da ein Ansparen über die Regelleistung im Zeitpunkt der Geburt nicht möglich ist - grundsätzlich im Wege der Sach- oder Geldleistung als Darlehen gemäß § 23 Abs 1 SGB 2 zu gewähren.
2. Nach dem gesetzgeberischen Willen, der auch in dem Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens zu § 23 SGB 2 zum Ausdruck kommt, kann ein Kinderwagen nicht als Erstausstattung für die Wohnung (§ 23 Abs 3 Nr 1 SGB 2) oder als Erstausstattung für Bekleidung einschließlich bei Schwangerschaft oder Geburt (§ 23 Abs 3 Nr 2 SGB 2) angesehen werden; die Gewährung einer Sonderleistung in Form eines Zuschusses nach § 23 Abs 3 S 2 SGB 2 kommt daher nicht in Betracht.
Gründe
Die Voraussetzungen des § 86 b Abs Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind erfüllt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen im Beschluss des Sozialgerichts (SG) Lüneburg verwiesen ( § 142 Abs 2 Satz 3 SGG).
Allerdings ergibt sich der Anordnungsanspruch der Antragstellerin nicht aus § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 oder Nr 2 SGB II, sondern aus § 23 Abs 1 SGB II, weshalb der Antragsgegner verpflichtet ist, der Antragstellerin einen gebrauchten Kinderwagen entweder als Sach- oder Geldleistung als Darlehen zu gewähren. Denn ein Kinderwagen ist weder als Erstausstattung einer Wohnung bzw Haushaltsgerät und auch nicht als Erstausstattung für Bekleidung einschließlich bei Schwangerschaft und Geburt anzusehen. Vielmehr ist er nach dem Gesetzeszweck des SGB II ein von der Regelleistung nach §§ 20, 28 SGB II erfasster Bedarf, der nach § 23 Abs 1 SGB II als Darlehen zu gewähren ist, da er bereits zur Geburt des Kindes erforderlich wird und zu diesem Zeitpunkt noch nicht aus dessen Regelleistungen angespart werden konnte.
Lediglich die in § 23 Abs 3 SGB II aufgezählten Bedarfe werden nicht von der Regelleistung erfasst und sind von dem Antragsgegner gesondert als Zuschuss zu erbringen. Hierzu zählen Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten ( § 23 Abs 3 Nr 1 SGB II) wie auch Erstausstattungen für Bekleidung einschließlich bei Schwangerschaft und Geburt (§ 23 Abs 3 Nr 2 SGB II).
Unter § 23 Abs 3 Nr 1 SGB II hat der Gesetzgeber insbesondere die Fälle verstanden, in denen nach einem Wohnungsbrand oder bei der Erstanmietung nach einer Haft ein besonderer Bedarf für eine Wohnungserstausstattung besteht (vgl zum inhaltsgleichen § 31 (ursprünglich § 32) SGB XII in BT-Drs 15/1514 S. 60). Hierunter fällt ebenfalls die Erstanmietung einer Wohnung im Falle einer Trennung oder Scheidung oder aufgrund des Auszuges eines Kindes aus dem elterlichen Haushalt, bei Zuzug aus dem Ausland oder wenn ein Wohnungsloser eine Wohnung findet (Hofmann in LPK-SGB II § 23 Rnr 22). Charakteristisch für diese Fälle ist, dass der Betroffene aus bestimmten Gründen seine Wohnungsausstattung verloren hat oder nie innehatte.
Eine solche Situation ist grundsätzlich auch bei der Geburt eines Kindes gegeben. Zwar haben die Eltern bzw das Elternteil in der Regel bereits eine ausgestattete Wohnung, diese ist jedoch nur auf den Bedarf der bisher in der Wohnung lebenden Personen zugeschnitten. Wie in den zuvor genannten Situationen fehlt es auch bei der Geburt eines Kindes an dessen Wohnungsausstattung, die an seinem besonderen Bedarf orientiert ist. Infolgedessen sind Einrichtungsgegenstände wie zB ein Kinderbett nebst Matratze, ein Wickelaufsatz oder ein Laufstall über § 23 Abs 3 Nr 1 SGB II als Sonderbedarf zu erbringen (Hofmann aaO Rnr 25; Gerenkamp in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil 1, § 23 Rnr 18; Wieland in Estelmann SGB II, § 23 Rnr 29,39; Kahlhorn in Hauck/Noftz SGB II § 23 Rnr 23; Lang in Eicher/Spellbrink SGB II § 23 Rnr 102).
Nach in der Literatur und Rechtsprechung überwiegend einstimmig vertretener Auffassung wird dabei auch ein Kinderwagen als Erstausstattung der Wohnung bezogen auf die Person des Neugeborenen angesehen (Hofmann aaO, § 23 Rnr 25; Wieland aaO § 23 Rnr 29,39; Kahlhorn aaO § 23 Rnr 23; Beschluss des SG Hamburg vom 23. März 2005, - S 57 AS 125/05 ER -; des SG Speyer vom 13. Juni 2005, - S 16 ER 100/05 AS -; des LSG Berlin Brandenburg vom 3. März 2006, - L 10 B 106/06 AS ER -; des LSG Rheinland-Pfalz vom 12. Juli 2005, - L 3 ER 45/05 AS - ).
Dem vermag sich der Senat angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 23 Abs 3 Nr 1 SGB II nicht anzuschließen. Ein Kinderwagen ist zwar ein Bedarfsgegenstand, der aus Anlass der Geburt eines Kindes iS einer “Erstausstattung" anfällt. Er kann aber nach Überzeugung des Senats nicht als “Ausstattung der Wohnung" oder als “Haushaltsgerät" angesehen werden. Als solche gelten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur Bedarfsgegenstände, die unmittelbar dem Wohnen und dem Aufenthalt ...