Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Berufsausbildungsbeihilfe. Sonderregelung für die Ausbildungsförderung für Ausländer. Asylbewerber aus Afghanistan mit Aufenthaltsgestattung. Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts. Bleibeperspektive. Prognoseentscheidung. Gesamtschutzquote. individuelle Umstände. Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen einer Duldung oder einer Aufenthaltserlaubnis. berufliche Integration. Abschiebepraxis in Bremen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland (als Voraussetzung für einen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe gemäß §§ 56ff, 132 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III) setzt bei Asylsuchenden voraus, dass aus ex-ante-Sicht eine überwiegend wahrscheinliche Aussicht darauf besteht, dass die jeweilige Person den Status als Flüchtling (§§ 3ff AsylG - juris = AsylVfG 1992) oder einen subsidiären Schutz (§ 4 AsylVfG - juris = AsylVfG 1992) erlangen wird.

Eine solche positive Bleibeperspektive kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht bejaht werden, wenn die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für das betreffende Herkunftsland berechnete sog. Gesamtschutzquote 35,6 % beträgt und auch keine individuellen Umstände glaubhaft gemacht worden sind, die eine hiervon abweichende Erwartung rechtfertigen.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den einstweiligen Rechtsschutz ablehnenden Beschuss des Sozialgerichts Bremen vom 26. September 2018 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag, dem Antragsteller für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) zu verpflichten.

Der 1992 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und hält sich nach seinen eigenen Angaben seit dem 25. Mai 2016 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er verfügt für die Dauer seines bislang nicht abgeschlossenen Asylverfahrens über eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Asylgesetz (AsylG).

Am 20. Juli 2018 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin im Hinblick auf seine am 1. August 2018 beginnende Berufsausbildung zum Kfz-Mechatroniker die Gewährung von BAB (voraussichtliches Ausbildungsende: 31. Januar 2021). Während seiner Ausbildung erhält der Antragsteller eine monatliche Ausbildungsvergütung von zunächst 605,-- EUR (2. Ausbildungsjahr: 700,-- EUR; 3. Ausbildungsjahr: 761,-- EUR). Er lebt als Alleinstehender in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Bremen, für die er einschließlich Nebenkosten 425,-- EUR pro Monat zu zahlen hat. Zu seinen Eltern, die “in einem anderen Land„ wohnen, hat er nach seinen eigenen Angaben keinen Kontakt mehr. Sein Vater sei Rentner und seine Mutter arbeitslos (vgl. im Einzelnen: handschriftliche Erklärung des Antragstellers ohne Datum, Bl. 12 der Verwaltungsakte - VA -).

Die Antragsgegnerin lehnte den BAB-Antrag mit der Begründung ab, dass der Antragsteller nicht zu dem nach §§ 56, 59 SGB III grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre (Bescheid vom 27. Juli 2018).

Hiergegen wandte der Antragsteller im Widerspruchsverfahren ein, dass eine Prüfung des § 132 Abs 1 SGB III unterblieben sei. Dessen Voraussetzungen seien erfüllt, da sich der Antragsteller seit mehr als 15 Monaten gestattet in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte und auch darüber hinaus ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt zur erwarten sei. Schließlich habe der Antragsteller aufgrund seiner Berufsausbildung einen (gebundenen) Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs 2 Satz 4 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG -). Für die Zeit nach Abschluss der Berufsausbildung falle die Prognose für einen weiteren rechtmäßigen Aufenthalt ebenfalls positiv aus. Schließlich habe das deutsche Aufenthaltsrecht mittlerweile die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) übernommen, wonach Ausländer, die umfassend in die hiesigen Verhältnisse integriert seien, als sog. faktische Inländer zu behandeln seien. Hinzu komme, dass der Antragsteller eine Ausbildung in einem sog. Mangelberuf durchlaufe (wobei in der Widerspruchsbegründung vom 21. August 2018 in diesem Zusammenhang wohl fehlerhaft eine Tätigkeit als Informatiker angeführt wird). Dementsprechend sei zu erwarten, dass der Antragsteller im Rahmen der sog. Vorrangprüfung eine positive Entscheidung für eine spätere Arbeitsaufnahme erhalten und dann auch keine Belastung für das Sozialsystem darstellen werde. Zudem sei zu berücksichtigen, dass das Bundesland Bremen aus humanitären Gründen von Abschiebungen nach Afghanistan absehe....

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