Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Beschwerde. einstweiliger Rechtsschutz. Zulassungsbedürftigkeit der Berufung im Hauptsacheverfahren. Bestimmung des Beschwerdewertes. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates. Abweichung vom Dublin-Verfahren. Nichtausreise trotz Feststehens von Ausreisetermin und Ausreisemöglichkeit. Verfassungsmäßigkeit. Kostenentscheidung. Berücksichtigung einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung des Leistungsträgers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 4 S 1 AsylbLG setzt eine abweichende Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats oder Drittstaats aufgrund eines Relokationsbeschlusses der Europäischen Union voraus und ist tatbestandlich nicht bereits dann einschlägig, wenn nach der sog Dublin III-VO (EU) 604/2013 (juris: EUV 604/2013) ein anderer Staat zuständig ist, weil in diesem erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Anschluss an LSG Berlin-Potsdam vom 19.5.2016 - L 15 AY 23/16 B ER ua = ZFSH/SGB 2016, 433 = juris RdNr 6 und vom 28.4.2016 - L 15 AY 15/16 B ER ua = juris RdNr 17).

2. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1a Abs 2 AsylbLG in der ab 24.10.2015 geltenden Fassung (BGBl I 2015, 1722) ist auch mit Rücksicht auf die Entscheidung des BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R = SozR 4-3520 § 1a Nr 2 nach wie vor ungeklärt.

3. Bei der Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes iS des § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG ist, soweit es um die Bewilligung von laufenden lebensunterhaltssichernden Leistungen geht, jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich von einer Leistungsdauer von (maximal) zwölf Monaten auszugehen (Fortführung von LSG Celle-Bremen vom 12.12.2016 - L 8 AY 15/16 B ER = FEVS 68, 561 = juris RdNr 8).

4. Eine ggf unzureichende Sachverhaltsaufklärung des Leistungsträgers kann - angesichts der gravierenden Folgen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG - im Rahmen einer gerichtlichen Kostenentscheidung zu seinen Lasten gehen.

 

Tenor

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Nach Beendigung des Beschwerdeverfahrens durch Rücknahme des Rechtsmittels - Hintergrund ist die Abschiebung des Antragstellers nach Italien am 19. Juni 2017 - ist noch über die Kosten in zweiter Instanz und den Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden. Dies obliegt dem Berichterstatter, § 155 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 5, Abs. 4 SGG.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Die Kostenentscheidung ergeht nach Erledigung des Rechtstreits gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGG auf Antrag des Antragstellers und steht im Ermessen des Gerichts ohne Rücksicht auf die Anträge der Beteiligten Sie berücksichtigt nach der Beendigung des Verfahrens alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insb. die Erfolgsaussichten nach dem bisherigen Sach- und Streitstand und die Gründe für die Rechtsverfolgung und die Erledigung (vgl. zu dem Inhalt der Kostenentscheidung B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 193 Rn. 12 ff., 13).

Die Beschwerde ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand zulässig gewesen, insbesondere mit einer im laufenden Leistungsbezug monatlichen Beschwer von ca. 175,00 € statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes i.S. des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, soweit es um die Bewilligung von laufenden lebensunterhaltssichernden Leistungen geht, jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich von einer Leistungsdauer von (maximal) zwölf Monaten auszugehen (Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2016 - L 8 AY 51/16 B ER - juris Rn. 8), hier mithin von einem Beschwerdewert, der den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG maßgeblichen Wert von 750,00 € deutlich übersteigt. Dass der Antragsteller am 19. Juni 2017 abgeschoben worden ist, ist dabei ohne Belang, weil für die Beurteilung der Statthaftigkeit der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels maßgeblich ist, hier also der 13. Juni 2017. Die bevorstehende Abschiebung ist zwar absehbar gewesen, aber als ein ungewisses, in der Zukunft liegendes Ereignis nicht in die Berechnung des Beschwerdewertes einzubeziehen.

Die Beschwerde gegen den Eilrechtsschutz versagenden Beschluss des Sozialgerichts (SG) Stade vom 30. Mai 2017 hat bis zur Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers in Deutschland hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten und ist auch nicht mutwillig gewesen. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht Überwiegendes dafür, dass das SG den Eilantrag zu Unrecht abgelehnt hat.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ...

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