Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Richtgrößenprüfung. Praxisbesonderheit. Versorgung von Osteoporose-Patienten. Quantifizierung eines anerkannten Verordnungs-Mehrbedarfs. Beurteilungsspielraum der Prüfgremien
Leitsatz (amtlich)
Zur Quantifizierung eines als Praxisbesonderheit anerkannten Verordnungs-Mehrbedarfs ist es nicht ausreichend, nur auf die im Vergleich zur Fachgruppe höhere Zahl der betroffenen Patienten abzustellen, wenn sich der Mehrbedarf (auch) darin zeigt, dass die verordneten Arzneimittel teurer sind als bei durchschnittlicher Verordnungsweise (hier: Osteoporose-Schwerpunkt mit Verordnung von Parathormonen).
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 1. November 2016 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 16.790 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage.
Der Antragsteller (Ast) war als Facharzt für Orthopädie in C. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Mit Schreiben vom 4. Juni 2007 teilte die Geschäftsstelle der Prüfungseinrichtung für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung dem Ast mit, dass er 2005 die Richtgröße für Arzneimittel mit 306 vH um mehr 25 vH überschritten habe und daher gemäß § 12 Abs 1 der Richtgrößenvereinbarung (RGV) von Amts wegen eine Richtgrößenprüfung einzuleiten sei. Der vorläufig errechnete Netto-Regress betrage 96.744,84 Euro.
Im Anschluss setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen gegenüber dem Ast einen Regress iHv 67.161,08 Euro fest und berücksichtigte dabei Praxisbesonderheiten über insgesamt 58.690,85 Euro sowie weitere Abzüge über 19,23 Euro (Bescheid vom 13. November 2007).
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, dass in dem Prüfverfahren die von ihm geltend gemachten Praxisbesonderheiten (Durchführung von Schmerztherapien, Behandlung von Osteoporose und rheumatischen Erkrankungen, Übernahme anderer fachärztlicher Verordnungen ≪KHK-, Asthma- und COPD-Präparate≫) nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Nachdem der Ast ein Vergleichsangebot des Antragsgegners (Ag) nicht angenommen hatte, wies der Beschwerdeausschuss den Widerspruch zurück. Dabei erkannte der Ag als Praxisbesonderheiten nur die vom Kläger im Jahr 2005 ausgestellten Verordnungen von Betäubungsmitteln iHv 30.982,61 Euro sowie die Versorgung von Osteoporose-Patienten iHv 16.444,44 Euro an. Im Rahmen des Verböserungsverbots habe daher der vom Prüfungsausschuss festgesetzte Regress Bestand (Bescheid vom 23. Februar 2016).
Der Ast hat am 10. März 2016 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben (Az: S 20 KA 59/16) und am 18. Mai 2016 unter Hinweis auf seinen Vortrag im Verwaltungsverfahren beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Der festgesetzte Richtgrößenregress sei gleich in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig. Zum einen sei dabei gegen den im Gesetz festgelegten Grundsatz "Beratung vor Regress" verstoßen worden. Zum anderen habe der Ag unter Verstoß gegen das Verböserungsverbot mitten im Regressverfahren die Prüfmethode gewechselt und zudem die geltend gemachten Praxisbesonderheiten nur unzureichend berücksichtigt.
Mit Beschluss vom 1. November 2016 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Die Kammer habe ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des festgesetzten Richtgrößenregresses. Im Rahmen einer summarischen Prüfung sei die vom Ag als Praxisbesonderheit anerkannte Versorgung von Osteoporose-Patienten nicht nachvollziehbar quantifiziert worden, weil die für besonders teure Osteoporose-Präparate angefallenen Verordnungskosten nicht bei der Berechnung des durch die Praxisbesonderheit entstandenen Mehrbedarfs berücksichtigt worden seien.
Gegen diesen Beschluss (zugestellt am 7. November 2016) wendet sich der Ag mit seiner Beschwerde vom 2. Dezember 2016 und macht geltend, dass nach der bisherigen Rspr des SG die Art und Weise der Mehrbedarfsberechnung von Praxisbesonderheiten durch den Ausschuss anerkannt sei.
Der Ag beantragt,
den Beschluss des SG Hannover vom 1. November 2016 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 10. März 2016 erhobenen Klage (Az: S 20 KA 59/16) abzulehnen.
Der Ast beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Ag verwiesen.
II
Die Beschwerde des Ag ist zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat zutreffend die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. März 2016 angeordnet.
1. Nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag...