Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Analogleistung. rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer. unrichtige Altersangabe. Rücknahme eines Asylgesuchs
Orientierungssatz
Eine unrichtige Altersangabe und die zulässige Rücknahme eines Asylgesuchs vor Stellung eines förmlichen Asylantrags sind nicht mit den typischen Fällen einer rechtsmissbräuchlichen Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer im Sinne des § 2 Abs 1 AsylbLG vergleichbar und führen nicht zu einem Ausschluss von Analogleistungen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 4.12.2018 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung lebensunterhaltssichernde Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII für die Zeit vom 5.10.2018 bis zum 31.12.2019 unter Anrechnung der bereits für diese Zeit erbrachten Leistungen zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Instanzen zu erstatten.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt im Eilverfahren so genannte Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG anstelle der bisher gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG.
Der Antragsteller, der nach seinen Angaben am 15.8.1999 geboren und gambischer Staatsangehöriger ist, reiste Anfang März 2017 nach Deutschland ein. Am 6.3.2017 meldete er sich in der Erstaufnahmeeinrichtung in Bremen. Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 15.3.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.6.2017 ab, den Antragsteller gemäß § 42a Abs. 1 SGB VIII als unbegleiteten Minderjährigen in Obhut zu nehmen. Der Antragsteller sei nicht minderjährig, die am 15.3.2017 durchgeführte qualifizierte Inaugenscheinnahme durch zwei Fachkräfte des Jugendamtes unter Einbeziehung einer Dolmetscherin habe ergeben, dass der Antragsteller eindeutig volljährig sei. Als fiktives Geburtsdatum sei der 31.12.1995 festgelegt worden. Den auf Inobhutnahme gerichteten Eilantrag des Antragstellers lehnte das Verwaltungsgericht (VG) Bremen ab (Beschluss vom 19.7.2017 - 3 V 647717 -). Das Verfahren und das Ergebnis der Alterseinschätzung seien nicht zu beanstanden. Am 17.3.2017 wurde der Antragsteller - weil er in Deutschland um Asyl nachgesucht habe - von der ZASt Bremen unter Aushändigung einer Anlaufbescheinigung und einer DB-Fahrkarte aufgefordert, unverzüglich noch am gleichen Tage bei der Aufnahmeeinrichtung Durlacher Allee 100 in Karlsruhe einen förmlichen Asylantrag zustellen. Auf das hiergegen noch am gleichen Tage beim VG Bremen eingeleitete Klage- und Eilverfahren (- 4 K 661/17 und 4 V 662/17 -), in dem der Antragsteller geltend machte, weder um Asyl nachgesucht zu haben noch einen förmlichen Asylantrag stellen zu wollen, hob die Antragsgegnerin die Anlaufbescheinigung klarstellend auf (gerichtlicher Vergleich vom 1.8.2017). Das Jugendamt Bremen wurde auf den Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 4.4.2017 (- 56 F 1001/17 -) für den Antragsteller bis zum Eintritt der vermeintlichen Volljährigkeit (am 15.8.2017) zum Vormund bestellt. Am 28.7.2017 stellte der Antragsteller, vertreten durch seinen Amtsvormund, unter Berufung auf seine (angebliche) Minderjährigkeit einen schriftlichen Asylantrag nach § 14 Abs. 2 AsylG, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist.
Es kam wiederholt zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten über die dem Antragsteller nach dem AsylbLG zu gewährenden Leistungen. Aufgrund eines Beschlusses des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 12.4.2018 - S 29 AY 27/18 ER - bewilligte die Antragsgegnerin von März bis August 2018 Leistungen nach § 3 AsylbLG.
Der Antragsteller beantragte im September 2018 Leistungen nach § 2 AsylbLG. Die Antragsgegnerin lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11.10.2018 mit der Begründung ab, eine Anfrage bei dem Migrationsamt habe ergeben, dass der Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst habe, indem er am 11.3.2017 bei der ZASt Bremen vorstellig geworden sei, ein Asylgesuch gestellt habe und der Aufforderung bei der Außenstelle des BAMF in Karlsruhe vorzusprechen nicht nachgekommen sei. Seither bewilligt die Antragsgegnerin dem Antragsteller laufend Leistungen nach § 3 AsylbLG (mit Bescheiden vom 19. und 22.10.2018 ab 1.10.2018, mit Bescheid vom 8.1.2019 ab 1.1. 2019 und mit Bescheid vom 7.10.2019 ab 1.9.2019). Über die dagegen erhobenen Widersprüche des Antragstellers ist noch nicht entschieden. Seit dem 3.12.2018 verfügt der Antragsteller über eine bis zum 3.12.2019 gültige Aufenthaltsgestattung. Über seinen Asylantrag ist noch nicht entschieden.
Der Antragsteller hat bereits am 5.10.2018 bei dem SG beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Er habe sich nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG verhalten. Die Antragsgegnerin hat a...