Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung. Arbeitslosengeld II. Verfassungsmäßigkeit der Neubemessung der Regelbedarfe. weiteres Betreiben des Widerspruchsverfahrens trotz Anhängigkeit der Rechtsfrage beim BSG

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Rechtsverfolgung ist als mutwillig anzusehen, wenn der Kläger ausschließlich die Verfassungswidrigkeit der Neubemessung der Regelbedarfe nach dem SGB 2 zum 1.1.2011 geltend macht und er den Grundsicherungsträger in Kenntnis der zu dieser Frage beim Bundessozialgericht anhängigen Revisionsverfahren zur Bescheidung des Widerspruchs innerhalb der Frist des § 88 Abs 2 SGG aufgefordert hat, anstatt das Widerspruchsverfahren zur Vermeidung der Anwaltsgebühren für ein sozialgerichtliches Verfahren nicht weiter zu betreiben.

 

Gründe

Die Beschwerde der Kläger gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren S 21 AS 221/12 versagenden Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 13. November 2012 hat keinen Erfolg.

Zugunsten der Kläger geht der Senat davon aus, dass die Klageforderung, welche die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für eine fünfköpfige Bedarfsgemeinschaft für den Bewilligungszeitraum vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 wegen geltend gemachter Verfassungswidrigkeit der bei der Leistungsberechnung zugrunde gelegten Regelbedarfe betrifft, den für eine zulassungsfreie Berufung maßgeblichen Beschwerdewert von 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) übersteigt und danach die Beschwerde gegen die Versagung von PKH nicht nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 HS 2 Zivilprozessordnung (ZPO) ausgeschlossen ist.

Die Beschwerde ist aber in der Sache nicht begründet. Der Senat lässt offen, ob die Klage entsprechend der Begründung des angefochtenen Beschlusses keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Gegen das Argument, dass das auf Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II gerichtete Klagebegehren ohne Erfolgsaussicht sei, da es selbst bei unterstellter Verfassungswidrigkeit der Regelsätze fernliegend erscheine, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die zugrunde liegenden einfachgesetzlichen Regelungen rückwirkend für verfassungswidrig erkläre bzw. eine Übergangsregelung mit Rückwirkung für die Vergangenheit treffe (so u. a. auch Landessozialgericht - LSG - Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Oktober 2011 - L 2 AS 99/11 B - Rdnr. 31 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen - 13. Senat -, Beschluss vom 25. April 2012 - L 13 AS 80/12 B - mit weiteren Nachweisen), ließe sich einwenden, dass das BVerfG dem Gesetzgeber in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 u. a.) aufgegeben hat, eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende Neuregelung bis zum 31. Dezember 2010 zu treffen. Ferner könnte eine hinreichende Erfolgsaussicht unabhängig von der Frage, ob die Kläger für den Fall der Verfassungswidrigkeit der von ihnen angegriffenen gesetzlichen Regelungen mit ihrem Begehren auf Gewährung höherer Leistungen für den streitbefangenen Bewilligungszeitraum durchdringen könnten, unter den Gesichtspunkt bejaht werden, dass mit der Klage letztlich die Klärung der Frage angestrebt wird, ob die Neuberechnung der Regelbedarfe den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht (vgl. zu diesem Gesichtpunkt LSG Niedersachsen-Bremen - 11. Senat -, Beschluss vom 18. Oktober 2012 - L 11 AS 1165/11 B - Rdnr. 12). Zwar liegen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Neuermittlung des Regelbedarfs für Alleinstehende zwischenzeitlich die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Juli 2012 (B 14 AS 153/11 R und B 14 AS 189/11 R) vor; die Verfassungsbeschwerden gegen diese Urteile wurden nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG - 3. Kammer -, Beschlüsse vom 20. November 2012 - 1 BvR 2203/12 - und vom 27. Dezember 2012 - 1 BvR 2471/12). Die im vorliegenden Fall auch entscheidungserhebliche Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche ist bislang aber noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. hierzu Vorlagebeschlüsse des SG Berlin vom 25. April 2012 - S 55 AS 9238/12 u. a.).

Der Senat lässt die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht letztlich offen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls als mutwillig i. S. d. § 114 Satz 1 ZPO anzusehen ist. Das BVerfG hat im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Klärung von verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden, dass die sich aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebende Rechtsschutzgleichheit keine vollständige Gleichheit Unbemittelter, sondern nur eine weitgehende Angleichung gebietet. Vergleichsperson ist derjenige Bemittelte, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein ...

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