Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. örtliche Zuständigkeit. ambulant betreute Wohnmöglichkeit iS des § 98 Abs 5 SGB 12. Streitigkeit über örtliche Zuständigkeit zweier angegangener Leistungsträger. Anwendbarkeit von § 14 SGB 9. § 43 SGB 1 als Ausnahmeregelung. Verpflichtung des notwendig Beigeladenen nach § 75 Abs 5 SGG im einstweiligen Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Regelmäßig ist der zuerst angegangene Träger nach § 14 SGB 9 sachlich zuständig, wenn es um die Kostenübernahme für eine ambulant betreute Wohnmöglichkeit geht; § 43 SGB 1 greift nur in Ausnahmefällen ein.
2. Die örtliche Zuständigkeitsregelung in § 98 Abs 5 SGB 12 bezieht sich auf von freien Trägern organisierte ambulante Wohnmöglichkeiten und nicht auf eine Wohnung, die sich der Hilfesuchende selbst gesucht hat, und von der aus er selbst sich ambulante Hilfen organisiert.
Orientierungssatz
1. Auch eine vorläufige Regelung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem § 86b SGG kann eine Beschwer im Rahmen der Zulässigkeit für § 172 SGG darstellen.
2. Die Verpflichtung eines Beigeladenen zur Leistung im Wege der einstweiligen Anordnung steht der Zulässigkeit der Beschwerde gem § 172 SGG nicht entgegen, denn die Neufassung des § 75 Abs 5 SGG durch Art 9 des GSiFoG können auch beigeladene Leistungsträger nach SGB 2 und SGB 12 verurteilt werden; dies muss auch im Verfahren einer einstweiligen Anordnung Beachtung finden.
3. Die Regelung von vorläufigen Leistungen gem § 43 SGB 1 ist nur dann anzuwenden, wenn beide angegangenen Träger lediglich über ihre örtliche Zuständigkeit streiten, da sonst dieser Streit zu unzumutbaren Verzögerungen bei der Leistung führen und der zuerst angegangene Rehabilitationsträger seiner Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten wegen der Ortsnähe des Betreuungs- und Pflegeangebots durch freie Träger zur Steuerung der Notlage verlustig gehen würde (vgl OVG Lüneburg vom 23.7.2003 - 12 ME 297/03 = FEVS 55, 384).
4. Zur Vermeidung einer stärkeren Kostenbelastung der örtlichen Träger, in deren Gebiet ein freier Träger als Anbieter der ambulant betreuten Wohnform seinen Sitz hat, soll über § 98 Abs 5 SGB 12 an die örtliche Zuständigkeit des Leistungsträgers angeknüpft werden, wo sich der Hilfesuchende vor Eintritt in diese Wohnform aufgehalten hat (vgl SG Oldenburg vom 19.12.2005 - S 2 SO 256/05 ER = ZfF 2007, 17).
Tenor
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 21. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Beigeladene und der Beschwerdegegner streiten darüber, wer die Kosten für Eingliederungsmaßnahmen zugunsten des Antragstellers zu tragen hat.
Der im August 1982 geborene Antragsteller leidet an einer erheblichen intellektuellen Entwicklungsverzögerung und einer infantilen Persönlichkeitsstörung. Ab dem Oktober 2002 war er in einer Wohngruppe in I. untergebracht und besuchte die Werkstatt für behinderte Menschen in J.. Nachdem er vorübergehend alleine in einer von seinem Betreuer für ihn angemieteten Wohnung gewohnt hatte, wurde er zum September 2004 stationär in einer Einrichtung der K. der L. aufgenommen und besuchte dort ab dem Januar 2005 die Werkstatt für behinderte Menschen. Der Beschwerdegegner gewährte dem Antragsteller mit Bescheiden vom 10. September 2004 und 10. Juni 2005 Eingliederungshilfe für die stationäre Maßnahme.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2006 beantragte der Antragsteller - vertreten durch seine neue Betreuerin - beim Beschwerdegegner die weitere Übernahme von Eingliederungshilfe in Form von ambulanten Hilfen, weil er beabsichtige, entsprechend den Empfehlungen der Mitarbeiter der K. eine eigene Wohnung zu beziehen, von wo aus er die Werkstatt für behinderte Menschen besuchen und ambulante Betreuung im Umfang von 6 Wochenstunden erhalten sollte. Diesen Antrag leitete der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 26. Juni 2006 an den Beigeladenen mit dem Bemerken weiter, dass nunmehr nach dem Wechsel von der stationären Einrichtung in eine ambulante Betreuung der Träger der Sozialhilfe für die Leistungen am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Hilfesuchenden sachlich und örtlich zuständig sei. Dies wurde mit Schreiben vom gleichen Tage dem Antragsteller mitgeteilt. Nach einem Vermerk des Gesundheitsamtes des Beigeladenen vom 21. August 2006 wurde der geplante Auszug aus der Wohngruppe der K. und der Übergang in eine ambulante Betreuung in einer eigenen Wohnung im Umfang von bis zu sechs Fachleistungsstunden als geeignet angesehen. Mit Bescheid vom 24. November 2006 hat es der Beigeladene abgelehnt, dem Antragsteller Eingliederungsleistungen zu gewähren. Er vertrat dazu die Ansicht, dass er für die Leistungsgewährung nicht sachlich zuständig sei, sondern aufgrund der Regelung in § 98 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) der Beschwerdegegner nach wie vor zur Leistungsgewährung verpflichtet sei. Dagegen legte der Antr...