Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Hilfebedürftigkeit. eheähnliche Gemeinschaft. Berücksichtigung des Einkommens zugunsten der nicht leiblichen Kinder. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Neufassung des § 9 Abs 2 S 2 SGB 2 durch das GSiFoG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die allgemeine Handlungsfreiheit oder die Eheschließungsfreiheit.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aurich vom 31. Oktober 2006 ist zulässig (§§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Dabei hat der Senat im wohlverstandenen Interesse der Antragsteller von Amts wegen das Aktivrubrum nach § 202 SGG i. V. m. § 264 Zivilprozessordnung - ZPO - in dem Sinne berichtigt, dass nicht die Mutter der minderjährigen, im Januar und Dezember 1998 geborenen Antragsteller als Antragstellerin aufgeführt wird. Dies beruht auf der Überlegung, dass die Regelung in § 38 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II -, wonach eine Bevollmächtigung eines erwerbsfähigen Hilfesuchenden für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vermutet wird, nur für das Verwaltungs-, nicht aber für das Gerichtsverfahren gilt. Einen materiellen Anspruch der Bedarfsgemeinschaft gibt es im SGB II nicht, so dass vielmehr die individuellen Ansprüche eines jeden Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft im Wege einer subjektiven Antrags- bzw. Klagehäufung geltend zu machen sind. Da auch Prozesshandlungen der Auslegung zugänglich sind, ist der Senat im wohlverstandenen Interesse der Antragsteller davon ausgegangen, dass die Mutter der minderjährigen Antragsteller nicht ihre eigenen Ansprüche, sondern die Ansprüche ihrer Kinder in dem Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vor den Sozialgerichten geltend macht. Wegen der gebotenen Eilbedürftigkeit einer Entscheidung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Senat davon abgesehen, ausdrücklich eine klarstellende Erklärung der Verfahrensbeteiligten herbeizuführen (vgl. zur Individualität der Leistungsansprüche im gerichtlichen Verfahren: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 1093/05 -; der 8. Senat des erkennenden Gerichts, Urteil vom 24. August 2006 - L 8 AS 467/05 -; jetzt auch: Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - V. n. b.).
Indessen ist die Beschwerde in der Sache nicht begründet. Das SG hat die Sach- und Rechtslage auf jeden Fall bezüglich des Anordnungsanspruchs zutreffend beurteilt. Zur Vermeidung von Wiederholungen schließt sich der Senat insoweit der Begründung des angefochtenen Beschlusses nach eigener Sachprüfung an (vgl. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Die Begründung der Beschwerde rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Es trifft nicht zu, dass nach der Neufassung von § 9 Abs. 2 SGB II durch das Fortentwicklungsgesetz (v. 20. Juli 2006, BGBl. I S, 1706) der nunmehr in der Vorschrift noch enthaltene Absatz 5 bei dem vom SG dargelegten Verständnis der Vorschrift jeglichen Reglungsinhalt verlöre. Vielmehr behält § 9 Abs. 5 SGB II ohne weiteres seinen Sinn dann, wenn etwa Geschwister oder Großeltern und Enkelkinder miteinander in einer Haushaltsgemeinschaft leben.
Auch trifft die von den Antragstellern geltend gemachte Ungleichbehandlung im Hinblick auf den Regelsatz eines erwachsenen Haushaltsangehörigen und den im Zivilrecht anerkannten Selbstbehalt eines Unterhaltspflichtigen nicht zu. Denn der Selbstbehalt eines Unterhaltspflichtigen - etwa nach den Leitlinien der so genannten Düsseldorfer oder Oldenburger Tabelle - betrifft den Fall, dass der Unterhaltspflichtige und der minderjährige Unterhaltsberechtigte nicht in einem Haushalt leben, sondern dass der Unterhaltsverpflichtete zur Leistung von Geldunterhalt verpflichtet ist. Hier hingegen stellt die Regelung in § 9 Abs. 2 SGB II darauf ab, dass die Betreffenden in einer Haushaltsgemeinschaft leben und von ihrem Stiefvater Naturalunterhalt erhalten.
Auch liegt die Ansicht, durch die gesetzliche Neufassung der hier in Rede stehenden Vorschrift durch das Fortentwicklungsgesetz würde in verfassungswidriger Weise die allgemeine Handlungsfreiheit aus Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz - GG - verletzt (so: SG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2006 - S 24 AS 213/06 ER -) neben der Sache. Denn das die allgemeine Handlungsfreiheit betreffende Abwehrgrundrecht greift dann ein, wenn unmittelbar und direkt durch ein Gesetz dem Pflichtigen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen auferlegt wird. Das ist hier aber nicht der Fall. Vielmehr knüpft das SGB II hinsichtlich der Gewährung von staatlichen Transferleistungen, die aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden, an einen tatsächlichen Lebenssachverhalt an, ohne den davon Betroffenen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen als Rechtspflicht aufzuerlegen. Auch kann keine Rede davon sein, durch die Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II würde die nach Artikel 6 Abs. 1 GG garantierte Eheschließungsfreiheit beeinträchtigt werden (so wohl...