Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Pflegegeld. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Die einschränkungslose Formulierung in einem Bescheid über die Bewilligung von Hilfe zur Pflege, diese werde ab 1.1.1999 bewilligt, ist ausgehend vom objektivierten Empfängerhorizont des Leistungsberechtigten dahin auszulegen, dass ein Pflegegeld in benannter Höhe für einen unbestimmten Zeitraum nach Erlass des Bescheides bewilligt wurde und nicht nur für einen oder mehrere bestimmte (welche?) Monate. Es handelt sich in einem solchen Fall um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gemäß § 48 SGB 10.
2. Das SGB 12 enthält - anders als das SGB 2 in § 39 - keine Vorschrift, wonach die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfällt. Hier tritt deshalb der gesetzliche Normalfall ein, wonach der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat (§ 86a Abs 1 Satz 1 SGG).
Orientierungssatz
Die wirksame Änderung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung setzt voraus, dass dieser entweder gem § 48 SGB 10 aufgehoben oder gem § 45 SGB 10 zurückgenommen wird.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 7. Juli 2005 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Februar 2005 aufschiebende Wirkung hat.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
I. Die 1957 geborene Antragstellerin leidet seit langem unter zahlreichen schwerwiegenden Erkrankungen, unter anderem einem zellulären Immundefektsyndrom, wodurch ihr Allgemeinzustand deutlich reduziert ist. Mit Bescheid vom 19. April 1999 bewilligte die Stadt E. der Antragstellerin Hilfe zur Pflege nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG).
Dabei enthielt dieser Bescheid folgende Passage:
“Wir bewilligen Ihnen nach § 69b BSHG ab 01.01.99 ein Pflegegeld in Höhe von 919,40 DM monatlich.„
Bis einschließlich Februar 2005 wurde durch die Antragsgegnerin ein Pflegegeld in Höhe von 675,08 € anerkannt. Die Höhe diese Leistungen beruhte auf dem Bescheid vom 19. April 1999, wobei das von der Pflegeversicherung der Antragstellerin gezahlte Pflegegeld in Höhe von 205,00 € angerechnet wurde, so dass Leistungen in Höhe von tatsächlich 470,08 € (= 919,40 DM) verblieben.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2005 stellt die Antragsgegnerin nach Überprüfung fest, dass bei der Antragstellerin ein nicht gedeckter Hilfebedarf von monatlich lediglich 38,32 € bestehe. Dieser würde ab dem 1. März 2005 monatlich laufend auf ihr Konto angewiesen werden.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wandte die Antragstellerin sich gegen die Reduzierung des bislang gewährten Pflegegeldes. Über den Widerspruch ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden.
Außerdem hat die Antragstellerin am 15. April 2005 um vorläufigen Rechtsschutz beim SG Oldenburg nachgesucht, welches den abschlägigen Beschluss vom 7. Juli 2005 erlassen hat. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, der das SG nicht abgeholfen, sondern diese dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.
II. Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 7. Juli 2005 ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG gilt die Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin aus ihrem Bescheid vom 19. April 1999 weiter, die streitige Pflegegeldleistung ist in unveränderter Höhe zu zahlen.
Die Antragstellerin begehrt die Weiterzahlung der ihr mit Bescheid vom 19. April 1999 bewilligten Leistungen in Höhe von 470,08 € monatlich. Mit diesem Begehren ist sie letztlich erfolgreich, weil ihr Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Februar 2005 aufschiebende Wirkung hat. Die Bewilligung aus dem Bescheid vom 19. April 1999 wirkt fort.
Der Bescheid vom 19. April 1999 über die Bewilligung von Hilfe zur Pflege war ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin und des SG, wonach es sich bei dem Bescheid vom 19. April 1999 nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, wird vom Senat nicht geteilt. Nur in einem solchen Fall hätte die Antragsgegnerin - verfahrensrechtlich ungebunden - eine neue Entscheidung über den Anspruch auf Zahlung des Pflegegeldes treffen können und die Antragstellerin versuchen müssen, eine Regelungsverfügung gemäß § 86b Abs 2 Satz 2 SGG zu erlangen.
Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sein Regelungsinhalt - vom Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes her - nach seinen rechtlichen Wirkungen in die Zukunft fortwirken soll, sich also über eine einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf eine gewisse - bestimmte oder unbestimmte - zeitliche Dauer in der Zukunft erstreckt (BSGE 56, 165; 58, 27; 61, 286; 78, 109). Für die Feststellung, ob es sich um einen Verwa...