Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verschuldenskosten. Auferlegung auf den Prozessbevollmächtigten. Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung. Berufung gegen Gerichtsbescheid wegen der Verwerfung einer erledigten Untätigkeitsklage als unzulässig
Orientierungssatz
1. Verschuldenskosten wegen Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung (§ 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG) können auch einem Prozessbevollmächtigten auferlegt werden. Da der Gesetzgeber den Wortlaut von § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG an den des § 34 BVerfGG angelehnt hat, ist ein Rückgriff auf die Rechtsprechung des BVerfG zu § 34 BVerfGG zulässig.
2. Die Einlegung der Berufung gegen einen Gerichtsbescheid, mit dem eine Untätigkeitsklage gem § 88 SGG (echte Untätigkeitsklage) nach Erlass des beantragten Bescheides als unzulässig verworfen wurde, ist rechtsmissbräuchlich.
Tenor
Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers werden Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG in Höhe von 225,00 € auferlegt.
Gründe
Gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers waren Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 192 Abs 1 S 2 SGG zu verhängen, weil er den Rechtsstreit durch Einlegung der Berufung und auch danach fortgeführt hat, obwohl ihm sowohl der Senatsvorsitzende als auch die Berichterstatterin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt und ihn auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei weiterer Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen haben. Die Entscheidung erfolgt durch Beschluss, weil das Verfahren durch die Zurücknahme des Rechtsmittels beendet worden ist (§ 192 Abs 1 S 1 SGG). Über die Kosten, die auch die Kosten nach § 92 SGG umfassen, entscheidet gemäß § 155 Abs 2 Nr 5, Abs 4 SGG die Berichterstatterin.
Die Verschuldenskosten waren dem Prozessbevollmächtigten selbst aufzuerlegen. Es ist streitig, ob § 192 Abs 1 S 2 SGG die Möglichkeit eröffnet, auch gegen den Prozessbevollmächtigten Verschuldenskosten festzusetzen. Die Mehrheit in der Literatur und Rechtsprechung (Nachweise bei Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer SGG, 9. Auflage, § 192 Rdnr 2) ist der Ansicht, dass Verschuldenskosten nicht gegenüber dem Prozessbevollmächtigten, sondern nur gegenüber den Beteiligten zu verhängen sind. § 192 Abs 1 S 2 SGG ("Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter") sei eine Zurechnungsnorm und beziehe sich auf das Verschulden und die missbräuchliche Rechtsverfolgung. Demgegenüber vertritt Krasney in Krasney- Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl., Kap. XII Rdnr 29, 38 die Auffassung, die Zurechnung ergebe sich bereits aus allgemeinen Grundsätzen - § 85 ZPO -, sodass es einer besonderen Regelung in dieser Vorschrift (§ 192 SGG) nicht bedurft hätte. Deshalb könnten nunmehr aufgrund des § 192 Abs 1 S 2 SGG dem Bevollmächtigten Kosten auferlegt werden. Den Gesetzesmaterialien zum 6. SGG- Änderungsgesetz vom 17.08.2001 (BT- Drs 14/5943 S. 28) ist dazu kein ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers zu entnehmen. Allerdings führt die vom Gesetzgeber in der amtlichen Begründung (BT-Drs, aaO) ausdrücklich erwähnte Anlehnung des § 192 SGG an § 34 GKG - jetzt § 38 GKG - (Gebühr bei Verzögerung des Rechtsstreits) und - hier einschlägig - an § 34 BVerfGG (Missbrauchsgebühr) weiter. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum 6. SGG- Änderungsgesetz sah zunächst vor, den bisherigen Begriff des "Mutwillens" durch den der "offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung" zu ersetzen. Auf Antrag des BT- Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wurde der Terminus dann durch den der "Missbräuchlichkeit" ersetzt, weil dieser Begriff als weiter angesehen wurde (BT- Drs 14/6335 S.33). Er enthält auch ein subjektives Element (Krasney aaO, Rdnr 35, Wenner SozSich 2001, 422, 427). Da der Gesetzgeber den Wortlaut des § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG somit an den des § 34 BVerfGG angelehnt hat, ist ein Rückgriff auf die Rechtsprechung des BVerfG zu § 34 BVerfGG naheliegend.
Das BVerfG hat dem Prozessbevollmächtigten selbst wiederholt eine Missbrauchsgebühr auferlegt, wenn sich besondere Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Missbräuchlichkeit der Verfassungsbeschwerde vorrangig ihm und nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist. Es ist dabei ohne weiteres davon ausgegangen, dass § 34 Abs 2 BVerfGG die Auferlegung gegenüber dem Prozessbevollmächtigten gestattet (z.B. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09.06.2004, 1 BvR 915/04, NJW 2004, S 2959, Nichtannahmebeschluss vom 12.09.2005, 2 BvR 1435/05, NJW-RR 2005, 1721f, Nichtannahmebeschluss vom 01.12.2008, 2 BvR 2187/08, JURIS). Dieser Rechtsprechung, die danach differenziert, wem die missbräuchliche Handlung bzw Rechtsverfolgung vorrangig zuzurechnen ist, schließt die Berichterstatterin sich an.
Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG liegen vor: Die Rechtsverfolgung ist missbräuchlich, wenn sie offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss ...