Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Kosten der Unterkunft. nicht erforderlicher Umzug. Anwendung von § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 nF bei Auszug aus dem Bereich des örtlichen Wohnungsmarktes. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung des § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 idF ab dem 1.8.2006 ist angesichts des grundrechtlich geschützten Rechts auf Freizügigkeit dahingehend einschränkend auszulegen, dass sie nur bei Umzügen innerhalb desselben örtlichen Wohnungsmarktes anzuwenden ist, der für die Bestimmung der Angemessenheit iSd § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 maßgeblich ist.

2. Bei Umzügen, die über diesen örtlichen Bereich hinausgehen, ist eine Deckelung der berücksichtigungsfähigen Kosten von Unterkunft und Heizung auf die bisherigen angemessenen Kosten auch weiterhin nicht zulässig.

 

Orientierungssatz

1. Es existiert kein genereller Grundsatz, wonach jedem Kind, unabhängig von seinem Alter, insbesondere wenn es sich um Kinder gleichen Geschlechts und annähernd gleichen Alters handelt, ein eigenes Zimmer zur Verfügung stehen muss.

2. Mangels valider Erkenntnismöglichkeiten ist die Angemessenheitsgrenze für Unterkunftskosten iS des § 22 Abs 1 SGB 2 in Anlehnung an die rechte Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG 2 zuzüglich eines Zuschlages von 10% zu bilden (vgl LSG Celle-Bremen vom 24.4.2007 - L 7 AS 494/05 = info also 2007, 178).

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 20.Juni2007 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig - unter dem Vorbehalt der Rückforderung - für die Zeit vom 1.August2007 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch auf der Grundlage von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 584,00€ monatlich zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Verpflichtung der Antragsgegnerin, die höheren Unterkunftskosten der Antragsteller nach einem (bereits erfolgten) Umzug von K. nach L. im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu übernehmen.

Die im Jahre 1973 geborene Antragstellerin zu 1. ist geschieden und allein erziehende Mutter ihrer drei Kinder, der Antragsteller zu 2. bis 4., geboren 1996, 1998 und 2004. Sie bezieht seit Januar 2005 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II von der Antragsgegnerin. Bisher bewohnten die Antragsteller eine 3-Zimmer-Wohnung in K., Landkreis L., mit einer Größe von ca. 75 m². Die Kosten der Unterkunft und Heizung (425,00 € Kaltmiete, 64,00 € Nebenkosten, 56,00 € Heizkosten) wurden weitestgehend von der Antragsgegnerin getragen; lediglich von den Heizkosten wurden anteilige Aufwendungen für die Warmwasserbereitung i. H. v. 18,84 € abgezogen und damit Heizkosten i. H. v. 37,16 € bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt. Die Antragsteller zu 2. bis 4. erhalten außerdem Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) sowie Kindergeld. Ausgehend von berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 526,16 € ergaben sich Leistungen für die Antragsteller i. H. v. jeweils 721,16 € monatlich für die Bewilligungszeiträume vom 1. Juni 2006 bis 30. November 2006 (Bescheid vom 07.06.2006), vom 1. Dezember 2006 bis 31. Mai 2007 (Bescheid vom 03.11.2006) und zunächst auch vom 1. Juni 2007 bis 30. November 2007 (Bescheid vom 09.05.2007).

Bereits im März 2007 hatte die Antragstellerin zu 1. mit einem Mietvertrag vom 15. März 2007 bei der Antragsgegnerin vorgesprochen, da sie - die Antragstellerin zu 1. - beabsichtigte, nach L. zu ziehen. Das dort in Aussicht genommene Einfamilienhaus M., das nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin im Eigentum der Großeltern der Antragstellerin zu 1. steht und in dem die Antragsteller inzwischen seit dem 1. August 2007 zur Miete wohnen, verfügt über eine Wohnfläche von ca. 80 m² bei vier Zimmern. Nachdem die Angaben zu Miethöhe und Nebenkosten verschiedentlich korrigiert worden sind, hat der Vermieter inzwischen klargestellt, dass für das Einfamilienhaus 424,00 € Kaltmiete anfallen, 40,00 € Kosten der Warmwasserbereitung, 80,00 € Nebenkosten (insb. Müllentsorgung) und 80,00 € Heizkosten (Mietvertrag vom 1. August 2007).

Die Antragsgegnerin lehnte die Zusicherung für den beabsichtigten Umzug mit an die Antragstellerin zu 1. gerichtetem Bescheid vom 15. März 2007 ab, da notwendige Gründe für den Umzug nicht erkennbar bzw. nicht nachgewiesen worden seien. Sollte der beabsichtigte Umzug trotzdem erfolgen, könnten Kosten für Unterkunft und Heizung nur in der bisher gezahlten Höhe weiterhin übernommen werden. Auch Anträge auf Gewährung von Wohnungsbeschaffungskosten (z. B. Mietkaution) sowie Umzugskosten müssten ggf. abgelehnt werden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin zu 1., sinngemäß auch für die Antragsteller zu 2. bis 4., am 26. März 2007 Widers...

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