Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. erkennbar unbegründete Ausgangsklage. Wiedergutmachung auf andere Weise. Auferlegung der Kosten für das Entschädigungsverfahren. immaterieller Nachteil bei einem Rechtsanwalt

 

Leitsatz (amtlich)

Liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vor, ist der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auch bei substanzlosen Klagen verletzt. Dem Umstand, dass das Rechtsschutzbegehren von Anfang an erkennbar unbegründet war, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Geldentschädigung versagt und gemäß § 198 Abs 2 S 2, Abs 4 GVG lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festgestellt wird (Anschluss an BFH vom 17.4.2013 - X K 3/12 = BFHE 240, 516).

 

Orientierungssatz

1. Gehört die im Ausgangsverfahren erhobene Klage zu denjenigen, welche geeignet sind, die Sozialgerichte von der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe abzuhalten, kann es der Billigkeit entsprechen, dem Kläger trotz Zuerkennung einer Entschädigung auf sonstige Weise die Kosten für das Entschädigungsklageverfahren aufzuerlegen.

2. Im Falle der Wiedergutmachung auf andere Weise ist die genaue Feststellung der Verzögerungsmonate entbehrlich.

3. Allein die berufsmäßige Befassung eines Rechtsanwalts mit der Führung von gerichtlichen Verfahren führt nicht dazu, dass die Vermutung eines Nichtvermögensnachteils widerlegt wird, wenn ein Rechtsanwalt gänzlich in eigener Sache klagt.

4. Gibt die Behörde einem (mit Begründung versehenen) Widerspruch gegen einen Bescheid statt, braucht sie dies nicht weiter begründen.

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Dauer des vor dem Sozialgericht Aurich geführten Verfahrens mit dem Aktenzeichen S 21 AL 31/14 unangemessen war.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 3.900 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen einer von ihm angenommenen überlangen Dauer eines vor dem Sozialgericht (SG) Aurich geführten Klageverfahrens.

Dem zum Az. S 21 AL 31/14 geführten Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, ein Rechtsanwalt, stellte bei der Agentur für Arbeit F. in eigener Sache einen Antrag auf Arbeitslosengeld, welcher mit Bescheid vom 18. Dezember 2013 abgelehnt wurde. Auf den Widerspruch des Klägers, welcher im Einzelnen begründet worden war, nahm die Bundesagentur für Arbeit den angefochtenen Ablehnungsbescheid mit Bescheid vom 6. Februar 2014 zurück und kündigte eine neue Entscheidung an. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte sie dem Kläger sodann antragsgemäß Arbeitslosengeld. Die geltend gemachten Kosten des Widerspruchsverfahren (Anwaltsgebühren von 380,80 € für die Selbstvertretung) wurden dem Kläger nachfolgend erstattet. Gegen den Rücknahmebescheid vom 6. Februar 2014 legte der Kläger im Hinblick die vermeintlich fehlende Begründung Widerspruch ein, welchen die Bundesagentur für Arbeit mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2014 zurückwies.

Gegen die negative Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides erhob der Kläger am 7. Mai 2014 Klage. Nach Eingang der Klageerwiderung noch im selben Monat ließ des SG Aurich das Verfahren zunächst unbearbeitet. Mit Verfügung vom 8. März 2018 kündigte es den Erlass eines Gerichtsbescheides an und gab den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung binnen vier Wochen. Mit Datum vom 29. Oktober 2018 erging schließlich ein klageabweisender Gerichtsbescheid, welcher dem Kläger am 3. November 2018 zugestellt wurde. Rechtsmittel legte der Kläger nicht ein.

Der Kläger, welcher im Ausgangsverfahren am 9. Februar 2015 und 27. April 2016 Verzögerungsrügen erhoben hatte, hat am 28. November 2018 Entschädigungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, dass der Ausgangsrechtsstreit bereits nach Eingang der Klageerwiderung entscheidungsreif gewesen ist. Es sei ausschließlich über Rechtsfragen gestritten worden, welche nicht überdurchschnittlich schwierig gewesen seien. Gleichwohl habe das Verfahren 54 Monate gedauert, wovon 39 Monate entschädigungspflichtig seien, so dass sich eine Entschädigung in Höhe von 3.900 € errechne. Er - der Kläger - sei durch die Verfahrensdauer auch persönlich belastet gewesen, da es sich um seinen ersten Fall als Rechtsanwalt gehandelt habe. Als Berufsanfänger habe er unter Erfolgsdruck gestanden und seine wirtschaftliche Lage sei extrem angespannt gewesen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Beklagten zu verurteilen, ihm 3.900 € zuzüglich Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung war das Ausgangsverfahren für den Kläger von untergeordneter Bedeutung, da es ausschließlich die Kostenerstattung für ein Widerspruchsverfahren zum Gegenstand gehabt habe. Zudem habe sich der Kläger als Rechtsanwalt selbst vertreten. Die für rechtliche Laien konzipi...

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