Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Widerspruchsverfahren. Einlegung eines Widerspruchs per E-Mail. keine formgerechte Widerspruchserhebung
Leitsatz (amtlich)
Durch eine einfache E-Mail wird die Form des § 84 SGG nicht gewahrt.
Erforderlich ist die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur, ein Versand gemäß § 5 De-Mail-Gesetz (juris: De-Mail-G) oder die Übermittlung in einem sicheren Verfahren gemäß § 36a Abs 2 S 4 Nr 4 SGB I.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 3. November 2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die vom Beklagten geltend gemachte Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Juli bis Dezember 2018 und Januar bis März 2019.
Die nicht miteinander verheirateten Kläger leben mit den gemeinsamen Töchtern K. und L. in einer Bedarfsgemeinschaft. Die wegen Erzielung von schwankendem Einkommen der Kläger zunächst vorläufige Leistungsbewilligung wurde mit Bescheiden vom 12. und 13. Dezember 2019 abschließend festgesetzt und Erstattungen geltend gemacht. Dabei ergingen für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018 und Januar bis März 2019 je ein Bescheid an den Kläger und je ein Bescheid an die Klägerin; letztere enthielten zugleich Festsetzungen von Rückforderungen für die gemeinsamen im Dezember 2016 geborenen Töchter. Die Bescheide enthielten jeweils die Rechtsbehelfsbelehrung, dass innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides Widerspruch erhoben werden könne. Satz 3 lautet: „Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der im Briefkopf genannten Stelle einzulegen.“
Mit einer E-Mail vom 30. Dezember 2019 teilten die Kläger mit, dass vor ein paar Tagen vier Briefe gekommen seien, zwei davon an die Klägerin und zwei an den Kläger. Aus den Briefen gehe hervor, dass sie Leistungen zurückzahlen müssten. Es gehe um unterschiedliche Zeiträume und unterschiedlich hohe Beträge. Als erstes wolle man auf diesem Wege Widerspruch einlegen. Im Folgenden wurde um Erläuterung und übersichtliche Begründung sowie eine schnelle Bearbeitung und Antwort gebeten.
Der Beklagte bestätigte mit vier Schreiben vom 8. Januar 2020 - je zwei an die Klägerin und an den Kläger - den Eingang des Widerspruchs am 30. Dezember 2019. In den Schreiben wurde erläutert, ein Widerspruch sei zwingend schriftlich oder zur Niederschrift einzureichen. Der per E-Mail übermittelte Widerspruch genüge diesen Formerfordernissen nicht, weil die technischen Voraussetzungen für eine eindeutige Urheberschaft nicht gewährleistet seien. Weiter heißt es: „Bitte reichen Sie deshalb den Widerspruch bis spätestens 22. Januar 2020 in der erforderlichen Form nach oder bestätigen Sie bis dahin schriftlich Ihre Urheberschaft. Ansonsten muss der Widerspruch als unzulässig verworfen werden“.
Hierauf reagierte die Klägerin am 21. Januar 2020 um 12.00 Uhr erneut per E-Mail mit dem Betreff „Re: Bezüglich der 4 Schreiben (Erstattung von Leistung)“ und erklärte, dass sie gestern ein Schreiben erreicht habe, dass sie wohl schon viel früher hätte erreichen müssen. Dort gehe es darum, dass noch bis zum 20.01.2020 Zeit sei, den Widerspruch schriftlich einzureichen. Dies sei jedoch unmöglich, wenn Post erst am genannten Tag eintreffe. Man wolle einfach wissen, wie es angehen könne, dass sie so viel zurückzahlen müssten, und bitte um eine verständliche Zusammenfassung und erneute Zeit für einen Widerruf.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte - der die Kläger auch schon in früheren Verfahren vertreten hatte - sich mit Schreiben vom 22. April 2020 gegen Erstattungsbescheide vom 12. Dezember 2019, die bei den Mandanten am 20. Januar 2020 eingegangen seien, wandte und Entscheidung anmahnte, erließ der Beklagte am 27. April 2020 vier Widerspruchsbescheide, mit denen die Widersprüche jeweils als unzulässig verworfen wurden. Die Erhebung eines Widerspruchs per E-Mail entspreche nicht dem Formerfordernis iSd § 84 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es könne mangels individueller Signatur nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob die E-Mail mit dem Widerspruch mit Wissen und Wollen des dort angegebenen Absenders versandt worden sei. Daher seien die Kläger mit Schreiben vom 8.Januar 2020 aufgefordert worden, die Widerspruchserhebung schriftlich/handschriftlich zu bestätigen. Nachdem eine Reaktion ausgeblieben sei, könne die Rechtsbehelfserhebung keinen Erfolg haben.
Hiergegen haben sich die nun anwaltlich vertretenen Kläger mit insgesamt vier Klagen vom 19. Mai 2020 gewandt. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat mit Beschluss vom 31. Juli 2020 diese Klagen gemäß § 113 Abs 1 SGG verbunden. Zur Begründung haben die Kläger vorgetragen, aus den Bescheiden vom 12. Dez...