Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlange Verfahrensdauer. Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren kein eigenständiges Gerichtsverfahren iS des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG. Einseitige Erledigungserklärung im Hauptsacheverfahren
Orientierungssatz
1. Ein Kostenfestsetzungs- und anschließendes Erinnerungsverfahren stellt kein Gerichtsverfahren iS des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG dar.
2. Die Betrachtungsweise des EGMR, nach der das Kostenfestsetzungsverfahren als unselbständiger Annex des Hauptsacheverfahrens zu dessen gegebenenfalls zu entschädigender Dauer beiträgt (vgl EGMR vom 10.11.2005 - 40324/98 = NJW 2006, 2241-2246 sowie vom 4.2.2010 - 13791/06), lässt § 198 Abs 6 Nr 1 GVG nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht zu.
Normenkette
GVG § 198 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6 Nr. 1, § 199 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; EGMR Art. 6 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in einem Kostenfestsetzungsverfahren.
Die Kläger erhoben am 7. Mai 2009 jeweils gemeinsam drei Untätigkeitsklagen gegen die (damalige) O. Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (P.), jetzt: Jobcenter Q. Sie begehrten damit die Verpflichtung des Jobcenters zum Erlass von Widerspruchsbescheiden. Nachdem das Jobcenter die begehrten Widerspruchsbescheide unter dem 20. Mai 2009 erlassen und dem Grunde nach seine Bereitschaft zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Kläger bekundet hatte, erklärten diese am 2. Juni 2009 die Klageverfahren jeweils für in der Hauptsache erledigt und beantragten, dem Jobcenter die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Mit Beschluss vom 3. Juni 2009 verband daraufhin das Sozialgericht (SG) die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Am 4. Juni 2009 nahmen die Kläger das Kostenanerkenntnis des Jobcenters an und teilten mit, dass nunmehr an einer Kostenentscheidung des Gerichts kein Interesse mehr bestehe.
Am 9. Februar 2010 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger, seine vom Jobcenter zu erstattenden Gebühren zugunsten der Kläger auf jeweils 205,06 € festzusetzen. Diesen Antrag leitete der Kostenbeamte des SG mit Verfügung vom 10. Februar 2010 dem Jobcenter zur Stellungnahme zu, das mit Eingang vom 18. Februar 2010 mitteilte, es halte nach der bisherigen Kostenentscheidungspraxis bei Untätigkeitsklagen eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 RVG in Höhe von 80 € für angemessen. Auf Rückfrage des Kostenbeamten vom 19. Februar 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 1. März 2010 mit, er habe in zwei anderen, in eigener Sache gegen das Jobcenter geführten Verfahren Kostenfestsetzung in Höhe von 135,95 € beantragt. Dieser Betrag sei vom Jobcenter gezahlt worden, ohne noch die Kostenfestsetzung abzuwarten. Er werde bis zum 7. April 2010 berichten, ob es den vorliegend unter Berücksichtigung der Mehrheit von Klägern ermittelten Betrag von sich aus überweisen werde. Am genannten Tag teilte er dem Kostenbeamten mit, dass eine Zahlung noch nicht erfolgt sei. Er bitte nunmehr, die Kosten wie beantragt festzusetzen. Mit Schriftsatz vom 28. April 2010 nahm das Jobcenter dahingehend Stellung, dass die Kostenerstattung in den vom Prozessbevollmächtigten der Kläger in eigener Sache betriebenen Verfahren nicht der Rechtslage entsprochen habe und irrtümlich erfolgt sei. Vorliegend bleibe es dabei, dass eine Verfahrensgebühr von 80 € angemessen sei. Einem daraufhin am 6. Mai 2010 vom Prozessbevollmächtigten der Kläger gestellten Antrag, eine Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer einzuholen, folgte der Kostenbeamte des SG nicht. Vielmehr setzte er mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Mai 2010 die vom Jobcenter zu erstattenden außergerichtlichen Kosten unter Angabe des nach der Verbindung führenden Aktenzeichens auf 176,12 € fest.
Mit seiner am 12. Mai 2010 eingelegten Erinnerung wiederholte der Prozessbevollmächtigte der Kläger seinen Antrag, eine Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer einzuholen. im Übrigen wies er darauf hin, dass Gegenstand seines Kostenfestsetzungsbegehrens die außergerichtlichen Kosten von drei Klageverfahren seien. Diese bezifferte er nunmehr auf zusammen 2.057,46 € (3 x 685,82 €) und bat um eine besonders sorgfältige Prüfung, weil eine Beschwerde zum Landessozialgericht nicht möglich sei.
Am 4. Dezember 2011 haben die Kläger in dem Erinnerungsverfahren unter Bezugnahme auf die drei Ausgangsverfahren Verzögerungsrüge erhoben.
Mit Beschluss vom 25. Januar 2012 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen und ergänzend ausgeführt, es sei aufgefallen, dass die von den Klägern in den verbundenen Ausgangsverfahren gestellten Anträge auf Kostenfestsetzung noch nicht beschieden seien. Es erfolge ein entsprechender Hinweis an den Kostenbeamten.
Am 8. Februar 2012 haben die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine beabsichtigte Entschädigungsklage weg...