Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Medizinisches Versorgungszentrum in Rechtsform einer GmbH. Gesellschafterwechsel. Vermögensübertragung. Inanspruchnahme der Bürgschaft des früheren Gesellschafters nur bis zum Ablauf von 5 Jahren nach seinem Ausscheiden. Herausgabe der Bürgschaftserklärung nach Ablauf dieser Frist
Leitsatz (amtlich)
Der frühere Gesellschafter eines in der Rechtsform der GmbH organisierten Medizinischen Versorgungszentrums kann aus der nach § 95 Abs 2 S 6 SGB V notwendigen Bürgschaft nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden aus der GmbH in Anspruch genommen werden. Nach Ablauf dieser Frist hat der Zulassungsausschuss seine Bürgschaftserklärung herauszugeben.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. September 2015 und der Beschluss des Beklagten vom 9. Juni 2010 aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt festzustellen, dass die Bürgschaftserklärung der G. (vormals: H.) vom 18. Februar 2008 an die Klägerin herauszugeben ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit steht ein Anspruch der Klägerin auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde.
Die Klägerin - eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) - ist Trägerin eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), das seit dem Quartal II/2008 für die Fachgebiete Laboratoriumsmedizin sowie Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Vertragsarztsitz zunächst in I. und aktuell in J. zugelassen ist. Vor Erteilung der Zulassung haben die (Gründungs-)Gesellschafter - darunter die in K. ansässige H. (Amtsgericht ≪AG≫ L., HRA M.; im Folgenden: Altgesellschafterin) - jeweils selbstschuldnerische Bürgschaften abgegeben, mit denen sie sich für Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) und der gesetzlichen Krankenkassen gegen die Klägerin aus deren vertragsärztlicher Tätigkeit verbürgt haben; dabei sind die Bürgschaftserklärungen jeweils auch auf Forderungen erstreckt worden, die erst nach Auflösung des MVZ fällig werden. Die unter dem 18. Februar 2008 vom Geschäftsführer der Altgesellschafterin gezeichnete Bürgschaftsurkunde ist dem zu 8. beigeladenen Zulassungsausschuss (ZA) N. vorgelegt worden und befindet sich weiterhin in dessen Besitz.
Im Juli 2009 übertrug die Altgesellschafterin ihr gesamtes Vermögen und ihren gesamten Betrieb an die O. (AG P., im Folgenden: Neugesellschafterin), deren einzige Kommanditisten sie ist. Von der Ausgliederung und Übernahme ausgenommen wurde lediglich die Kommanditbeteiligung der Altgesellschafterin an der Neugesellschafterin (Urkunde Nr Q. des Notars R. in K.). Die Altgesellschafterin änderte ihre Firma in G.; die O. firmierte ebenfalls um und nimmt seither als H. am Rechtsverkehr teil. Die Änderungen bei beiden Gesellschaften sind am 30. Juli 2009 in das Handelsregister eingetragen worden.
Mit Schreiben vom 7. September 2009 zeigten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin dem Beigeladenen zu 8. den eingetretenen Gesellschafterwechsel an. Dazu legten sie ua eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Neugesellschafterin der Klägerin für Forderungen von KÄVen und Krankenkassen gegen das MVZ aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit (einschließlich Forderungen, die erst nach Auflösung des MVZ fällig werden) vor. Gleichzeitig baten sie um Rücksendung der dem ZA bereits vorliegenden Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin im Original an sich und führten dazu aus, dass der Rechtsgrund für die Stellung der Bürgschaft entfallen und die Bürgschaftsurkunde deshalb zurückzugeben sei.
Der Beigeladene zu 8. stellte daraufhin fest, dass die Altgesellschafterin seit dem 30. Juli 2009 keine Gesellschafterin der Klägerin mehr sei und mit der Neugesellschafterin ab demselben Zeitpunkt eine zulässige Leistungserbringerin in die Trägergesellschaft des MVZ eingetreten sei. Die Bürgschaftserklärung der Altgesellschafterin sei Bestandteil der Nachweise des Zulassungsverfahrens des MVZ und verbleibe bei den Akten des ZA N.. Einer Rückgabe von Urschriften, die zum Nachweis in zulassungsrechtlichen Verfahren eingereicht worden sind, stehe die in § 43 Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) normierte Aufbewahrungspflicht entgegen (Beschluss vom 28. Oktober 2009).
Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin Widerspruch, soweit sich der Beigeladene zu 8. „geweigert hat, die Bürgschaftserklärung der S. (Handelsregister Amtsgericht T.) herauszugeben“. Die Bürgschaftserklärung der vom ZA akzeptierten Neugesellschafterin der Klägerin umfasse ohne zeitliche und betragsmäßige Einschränkungen alle denkbaren Forderungen der KÄV und der Krankenkassen gegenüber der Klägerin. Ein über diese Bürgschaft hinausgehendes Sicherungsbedürfnis gebe es nicht...