Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. Schülerbeförderung. nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsgangs. Identität des Bildungsgangs
Leitsatz (amtlich)
1. Maßgeblich für die Identität eines Bildungsgangs einer näher gelegenen und der ausgewählten, weiter entfernten Schule im Sinne von § 28 Abs 4 SGB II ist, dass die näher gelegene Schule, auf die der Leistungsträger verweist, denselben Bildungsgang nach Art des Abschlusses, Dauer des Schulbesuchs und Profil gewährleistet.
2. Es handelt sich nicht um denselben Bildungsgang im Sinne von § 28 Abs 4 SGB II, wenn einerseits an einem Gymnasium nach durchgehendem Unterricht von Klasse fünf bis zwölf das Abitur erworben werden kann, andererseits auf einer Oberschule von Klasse fünf bis zehn oder in einer "Schnellläuferklasse" nach fünf Jahren in der Regel der mittlere Schulabschluss erworben wird, um danach an einem weiteren Schulzentrum der Sekundarstufe II mit betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt in weiteren drei Jahren das Abitur zu absolvieren.
Normenkette
SGB II § 28 Abs. 4 Fassung: 2011-05-13, Abs. 4 Sätze 1, 2 Fassung: 2013-05-07, Abs. 7, § 7 Abs. 2, §§ 9, 19-20, 37 Abs. 1 S. 2; BremSchulG § 2 Abs. 1 Nr. 2; VO Sekundarstufe I der Oberschule (Bremen) § 3 Abs. 2-3, § 14 Abs. 2; BremSchVwG § 6a Abs. 8; SGG § 54 Abs. 1, 4, §§ 87, 143, 144 Abs. 2 Nr. 1
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 4. März 2015 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Januar 2012 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Schülerbeförderungskosten in Höhe von insgesamt 807,60 € für den Zeitraum von Oktober 2011 bis Februar 2015 zu erstatten.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Schülerbeförderungskosten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) streitig.
Der im Jahre 2000 geborene, in K. -L. (M.) wohnende, eine Halbwaisenrente beziehende Kläger erhielt in Bedarfsgemeinschaft mit seiner alleinerziehenden Mutter und zwei Geschwistern - nach vorherigem Leistungsbezug bis einschließlich Januar 2010 - ab dem 1. Oktober 2011 erneut Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (Leistungsbescheid vom 30. November 2011). Er stand im gesamten streitigen Zeitraum auch weiterhin im Leistungsbezug. Zum Schuljahr 2010/11 war er von der Grundschule auf das von seiner Wohnung 5,9 km entfernte Gymnasium N. gewechselt, nachdem laut Grundschulzeugnis des ersten Halbjahres der vierten Klasse seine Leistungen in allen Fächern die Regelanforderungen übertrafen. Das Gymnasium N. war bei der Wahl der weiterführenden Schule seine Erstwahl gewesen, die Oberschule L. hatte er als Drittwahl angegeben. Im Auswahlverfahren, das vom Gymnasium N. durchgeführt wurde, erhielt er dort einen Platz.
Den von der Mutter des Klägers - nach vorheriger Beantragung am 19. Oktober 2011 bei dem Jobcenter K. - am 7. Dezember 2011 bei der Beklagten gestellten Antrag, die durch den Besuch des Gymnasiums entstehenden Fahrtkosten im Rahmen der Bedarfe für Teilhabe und Bildung als Leistung nach § 28 Abs. 4 SGB II zu übernehmen, lehnte die Beklagte, die nach entsprechender Aufgabenübertragung gem. § 44 b Abs. 4 SGB II in K. diesbezüglich seit Juni 2011 der zuständige Leistungsträger ist (Vereinbarung zwischen der Stadtgemeinde und dem Jobcenter K. über die Wahrnehmung der Aufgaben nach §§ 28, 29 SGB II vom 24. Juni 2011), mit Bescheid vom 13. Dezember 2011 ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Kostenübernahme komme nach § 28 Abs. 4 SGB II und den Vorgaben der hierzu erlassenen “Richtlinie über das Verfahren der Berücksichtigung der tatsächlichen erforderlichen Aufwendungen für die Schülerbeförderung im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe in der Stadtgemeinde K.„ vom 15. Juli 2011 (Beförderungskostenrichtlinie) nur in Betracht, wenn es sich um die nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsganges handele oder der Besuch der Schule aufgrund einer Zuweisung durch die Behörde erfolge. Das vom Kläger besuchte Gymnasium N. sei hiernach nicht die nächstgelegene Schule, sondern eine Auswahlschule. Die für den Kläger nächstgelegene Schule stelle vielmehr die fußläufig von der Wohnung des Klägers nur 1,9 km entfernte Oberschule L. (mit den zwei O. bzw. P.) dar.
Gegen den an sie als Erziehungsberechtigte gerichteten Bescheid legte die Mutter des Klägers am 6. Januar 2012 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe das Gymnasium N. gewählt, da dort die Anforderungen über dem Niveau der Oberschule lägen und das Abitur bereits nach acht Jahren absolviert werden könne. Nach der Empfehlung seines Klassenlehrers zum Übergang von der vierten in die fünfte Klasse sei daher die nächstgelegene geeignete Schule das einzige nach der Schulreform 2009 in K. -Q. verb...